Dienstag, März 19, 2024
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Copy & Waste

Warum der Beschluss der Kultusministerkonferenz mit der VG Wort das Ende des digitalen Lernens bedeuten könnte

 von Laila N. Riedmiller

Ökologische Gründe sind ein weiteres Thema im Streit um das e-Learning
Ökologische Gründe sind ein weiteres Thema im Streit um das e-Learning

Paragraph 52a des Urheberrechtsgesetzes regelt den Einsatz  urheberrechtlich geschützter Werke in Unterricht und Lehre.
Im Oktober diesen Jahres entschied die VG Wort gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz, die Bestimmungen zum Umgang mit digitalisierten Medien zu verschärfen.
Bisher zahlten die Universitäten für den Upload von geschützten Dateien einen Pauschalbetrag an die VG Wort, der dann aufgeschlüsselt und an die Autor_innen durch die VG Wort weitergegeben wurde.
Konkret soll nun jedes Werk, das auf einer e-Learning-Plattform hochgeladen wird, explizit angegeben und separat abgerechnet werden. Dies jedoch hat unmittelbare Auswirkungen auf die Lehre.
Ein Pilotprojekt an der Universität Osnabrück hat gezeigt, dass der Mehraufwand, jede einzelne Datei zu melden, für die Dozierenden meist nicht zu leisten ist. In der Folge wurden wesentlich weniger Dateien hochgeladen und Studierende zumeist dazu aufgefordert, sich die Literatur selbst zu beschaffen. Zudem haften nicht die Universitäten für die Einhaltung der Urheberrechtslinien, sondern die jeweiligen Dozierenden. Diesem Rahmenvertrag möchte die Universität aus naheliegenden Gründen nicht beitreten. Da die Kopierer in den Unibibliotheken bereits durch andere Bestimmungen mit Beiträgen für die VG Wort berechnet werden, bleiben den Studierenden unserer Uni aber ab dem 1.1.2017 zumeist nur wenige Alternativen.

Literatur selbst suchen und kopieren
In Osnabrück wurden vor allem Literaturlisten ausgegeben. Ein Szenario könnte das folgende sein: Zu Beginn des Semesters müssen die Studierenden sich die Literatur selbst zusammensuchen und herauskopieren.
Dies bedeutet nicht nur steigende Kosten zu Beginn des Semesters, da die Kopierer in den Bibliotheken, aber auch in Copyshops pro Blatt berechnen und für alle Veranstaltungen eines Semesters gerne mal einige Hundert Kopien anfallen. Auch gibt es zumeist in den Unis nur wenige Ausgaben eines Exemplars, die dementsprechend heiß umkämpft wären. Sich die Kopien zu besorgen, kann  gut und gerne ein paar Stunden in Anspruch nehmen –  Zeit, die viele Studierende nicht haben.
Auch die Barrierefreiheit wird eingeschränkt: Viele Institutsbibliotheken sind nicht barrierefrei, auch in der Universitätsbibliothek kann man, sofern man beispielsweise an einen Rollstuhl gebunden ist, die Suche nach den Büchern ohne fremde Hilfe meist vergessen, da sich die Bücher bis an die Decke in den Regalen stapeln. Zudem muss man sich auf die Solidarität anderer Studierender verlassen und darauf hoffen, dass keine Bücher mutwillig zerstört werden. Dies jedoch ist insbesondere in Studienfächern mit hoher Konkurrenz (bspw. Jura) sehr oft der Fall. Wenn aber die entsprechenden Seiten im Buch der Bibliothek bereits fehlen, wie soll man sie kopieren?
Zudem kann mit einer zunehmenden Kanonisierung der Lehrliteratur gerechnet werden, da die Literaturliste vermehrt nach der materiellen Verfügbarkeit der Bücher ausgerichtet werden wird. Da aber viele Fachbereiche nur begrenzte Literatur zu vielen Themen haben, wird es insbesondere für Kurse mit Randthemen  oder für den Vergleich verschiedener theoretischer Positionen zunehmend schwerer, an die benötigte  Literatur zu kommen. Auch die Campuslizenzen, die zumindest einige e-Books über das Intranet zur Verfügung stellen, sind meistens mit großen Verlagen geschlossen und gehen zulasten der kleinen Verlage, deren Literatur womöglich in Zukunft seltener empfohlen wird.

Der gute alte Reader
Eine weitere Option ist der Reader, in dem Dozierende vor Beginn des Semesters die benötigte Literatur entsprechend der Beschränkungen des Urheberrechts zusammentragen und diesen in Copyshops als Ausdruck zum Kauf auslegen. Zwar mag dies oft günstiger sein als die einzelnen Ausdrucke, doch auch ein Reader von 10 bis 15 Euro pro Seminar kann für viele Studierende teuer genug sein. Hinzu kommt wieder die Zeit, die fürs Anstehen in den überfüllten Shops draufgeht und nicht zum Lernen oder Arbeiten genutzt werden kann.
Zudem wird es beinahe unmöglich, spontan vor allem neue wissenschaftliche Texte zur Verfügung zu stellen und zu besorgen, da die Bibliotheken diese häufig noch nicht vorliegen haben und die Reader dann bereits fertig sind – zumal das Besorgen der Kopien ebenfalls eine gewisse Zeitspanne erfordert, in der der Text dann nicht im Unterricht behandelt werden kann.

Originale kaufen
Für viele Studierende scheint dieser Punkt so offensichtlich ausgeschlossen, dass er keiner Auseinandersetzung mehr bedarf –  für die kurzsichtige Verabschiedung des neuen Rahmenvertrags jedoch muss offenbar erneut darauf hingewiesen werden, dass nicht alle Studierenden über unbegrenzte finanzielle Mittel verfügen. Insbesondere Lehrmaterialien sind teuer und auch, wenn es natürlich das primäre Ziel der Autor_innen ist, die Verkaufszahlen der Originalliteratur zu erhöhen, kann dies unmöglich im Sinne der modernen Lehre geschehen. Zwar gibt es in anderen Fachrichtungen Bücher, die nicht so teuer sind, wie beispielsweise juristische Kommentare (die in der abgespeckten Version selten unter 100 Euro anfangen und gerne auch bis zu 200 oder 300 Euro pro Exemplar kosten), doch auch Kosten von insgesamt 300 Euro im Semester können für viele Studierende eine nicht zu stemmende Belastung sein, zumal dieser Betrag genauso wie der Semesterbeitrag und viele andere Anschaffungen jeweils zu Beginn des Semesters gezahlt werden muss und dann zusammengerechnet gut und gerne ein Betrag von mehreren hundert Euro zustandekommt.

Struktureller Ausschluss von Personen
Es ist auffällig, dass all diese Alternativen letztendlich die gleichen Ressourcen beanspruchen: Zeit, Geld und die körperliche Befähigung, sich die Literatur zu beschaffen.
Nun führt genau dies dazu, dass systematisch bestimmte Personengruppen vom Studium ausgeschlossen werden. Sozial deprivilegierte Studierende erhalten zwar BAföG, doch die Mieten sind teuer und der BAföG-Satz niedrig. Auch ein Nebenjob ist mittlerweile für die allermeisten Studierenden notwendig, um sich das Studium leisten zu können –  Zeit, die unnötig für Literaturrecherche draufgeht, ist nicht nur Zeit, bei der Kosten für Literatur ausgegeben werden, sondern auch Zeit, in der der Nebenjob nicht ausgeführt werden kann. Auch Studierenden mit körperlichen oder psychischen Problemen wird das Studium zunehmend verunmöglicht, da die Infrastruktur der meisten Universitäten noch längst nicht barrierefrei ist.
Eine weitere Gruppe sind Studierende mit Kind, für die das Studium sowohl aus Kosten- als auch aus Zeitgründen schwieriger werden wird.

Entdemokratisierung an der Uni
Somit lässt sich die aktuelle Regelung mitsamt ihren Folgen auch als Entdemokratisierung begreifen, da sie all jene Fortschritte angreift, die bei der Freiheit der Lehre in den letzten Jahrzehnten erzielt wurden. Dass sich offenbar keine Gedanken darum gemacht wurden, wie essentiell e-Learning inzwischen geworden ist, zeigt sich an der mangelnden Umsetzbarkeit und Praktikabilität des Gesetzes. Nicht nur, dass viele kleine Verlage in ihrer Existenz bedroht sind, da sie rückwirkend bis 2011 ihren Gewinn an die Autor_innen abzweigen müssen und natürlich bereits mit den Geldern geplant hatten, gleichzeitig ist es praktisch unmöglich, in der kurzen Frist sämtliche vom Nichtbeitritt zum Rahmenvertrag betroffenen Werke von den Plattformen zu löschen: viele Inhalte bleiben über ein paar Semester stehen, falls Studierende ihre Hausarbeiten beispielsweise ein paar Semester lang aufschieben. Dann aber sind einige der Dozent_inen, die die Texte ehemals hochgeladen hatten, beurlaubt, in einem anderen Land, an einer anderen Universität oder vielleicht tot.
Auch hier wird ein unbezahlter Mehraufwand nötig, um die Inhalte zu löschen. Befürworter_innen des Rahmenvertrags entgegnen, im Internet lasse sich ohnehin fast alles Wissen frei verfügbar finden. Dies trifft allerdings selten auf qualitative und fachlich abgesicherte Texte, noch seltener auf wissenschaftliche Literatur zu.
So wird die soziale Spaltung an den Universitäten vorangetrieben und manifestiert sich nicht nur in der Tatsache, dass die Lektüre teuer ist und sich durch den zeitlichen Mehraufwand möglicherweise gar das Studium verlängert. Manche Studiengänge werden gar für Teile der Gesellschaft nicht mehr studierbar, weil dort die zunehmenden Kosten sich auf ohnehin schon hohe Kosten beispielsweise in Praxismodulen addieren und gar nicht mehr gestemmt werden können. Hinzu kommt, dass manche Universitäten als Reaktion auf die Überforderung der Lehrenden und die mögliche Nichterreichbarkeit die Lernplattformen gleich ganz schließen, um Strafen zu entgehen. Dann jedoch sind selbst die Vorlesungsfolien, Handouts von Referaten etc. kaum mehr online verfügbar und das Studium verkommt in Zeiten des Internets mehr und mehr zur Farce. Von den ökologischen Faktoren, die durch die vielen Drucke entstehen, ganz abgesehen. Wenn etwas reformbedürftig ist, dann ist es das aktuelle Urheberrecht.

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