Freitag, April 19, 2024
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Rockkonzerte zu Ehren Hitlers

Kommentar zur Filmvorführung „Blut muss fließen“

Eine hellblonde Heino-Perücke, beiger Trenchocat, Sonnenbrille und Schminke, die seine Gesichtszüge verändert – wenn er einen Pressetermin hat, muss Thomas Kuban sein eigentliches Aussehen verbergen. Der Grund dafür? Von 2003 bis 2012 begab er sich heimlich in neonazistische Gruppierungen und besuchte rechtsradikale Konzerte und Festivals. Dies filmte er, um auf die Gewaltbereitschaft aufmerksam zu machen und den öffentlichen Druck zu erhöhen, damit die Polizei und Justiz die Gefahr dieser Konzerte erkennen und unterbinden können. Einige kurze Sequenzen liefen etwa bei SpiegelTV, zusammengefasst entstand ein Dokumentarfilm mit dem Titel „Blut muss fließen“. Dieser Film wurde am 15. Mai im Rahmen des Festival contre le Racisme vom AStA gezeigt, im Anschluss gab es dazu ein Gespräch mit dem Regisseur Peter Ohlendorf.

 

Rudolf Hess – Schweigeminuten, Gewaltfantasien und Hitlergrüße

Neonazifestivals und -konzerte  machen immer wieder Schlagzeilen, zuletzt etwa das geplante Rechtsrockkonzert in Themar, das wegen brütender Vögel durch die Polizei unterbunden werden konnte. Auch das zum Anlass des Geburtstags Hitlers regelmäßig stattfindende Festival in Ostritz,erhielt mediale Aufmerksamkeit, da es dieses Jahr trotz strikter Auflagen zum Alkoholkonsum durch die sich am örtlichen Supermarkt betrinkenden Neonazis für die Dorfbewohner_innen mehr als ungemütlich wurde. Strenge Auflagen sollen eigentlich verhindern, dass beispielsweise strafrechtlich relevante, indizierte Lieder gespielt werden, die Polizei muss verbotene Symbole etwa auf T-Shirts konfiszieren und Hitlergrüße unterbinden. Die Dokumentation stellt jedoch heraus, dass dies selten wirklich in ausreichendem Maße passiert. Häufig verlassen die Polizisten vor Konzertantritt den Saal, mitunter sind sie mit den anwesenden Organisatoren sogar per Du. Auf den gefilmten Konzerten fanden sich Hitlergrüße und Schweigeminuten für führende Köpfe des Dritten Reichs sowie massenweise Symbole verbotener Organisationen. In Hinterhofläden, die Musik und Kleidung vertreiben, lässt sich mit ein wenig Geduld und Vertrauen oftmals ein Koffer mit indizierten CDs einsehen, die ebenfalls gekauft werden dürfen. Damit konfrontiert, verteidigte sich auf einer Pressekonferenz zum Verfassungsschutzbericht 2006 der damals amtierende bayerische Ministerpräsident Günter Beckstein, man könne im Einzelfall in einer Konzertsituation schwer feststellen, welche Texte und Lieder indiziert seien, allerdings würde man neonazistische Konzerte stets kritisch begleiten. Wie man darauf kommen kann, dass ein Text, der davon handelt, Jüd_innen Messer in den Leib zu rammen, nicht indiziert sein könne, darüber gab er keine Antwort.

Filmförderung? Fehlanzeige!

Die anwesenden Journalist_innen der Pressekonferenz sahen keine Notwendigkeit, einzuhaken und den offensichtlichen Widerspruch zwischen der angeblichen und tatsächlichen Konsequenz der Behörden zu thematisieren. Trotz der Brisanz des Themas erhielt Kuhn für den Film keine Finanzierung. Stiftungen, öffentlich-rechtliche Sender und sonstige mögliche Geldgeber hielten das Thema nach Wahrnehmung der beiden Filmschaffenden für nicht relevant genug, um es weiter zu erforschen. Da jedoch die versteckte Kamera für Kuban absolut professionell sein musste, um nicht aufzufallen, investierte er aus Überzeugung für die Relevanz des Themas selbst in die Ausrüstung – bis zur Fertigstellung des Films betrug dies mehrere zehntausend Euro.  Eine Anfrage zu einem Gespräch mit Schäuble im Bundestag wurde Kuban mit der Aussage verwehrt, er dürfe dieses nicht maskiert führen. Dass die Verkleidung seine Lebensversicherung darstellte wurde als Argument nicht gelten lassen. Tatsächlich ist es für ihn nicht möglich, unverkleidet den Film vorzustellen oder Interviews zu geben. Nach 12 Jahren verdeckter Recherche in extremsten gewaltbereiten Kreisen gab es mehr als eine Person, die seinen Tod herbeisehnte. Nicht zuletzt deshalb war die Fertigstellung des Films schwierig. Auch der Regisseur Ohlendorf erzählte von Schwierigkeiten. Im Gespräch mit Kolleg_innen hätten diese oft sehr verwundert reagiert, wenn er beispielsweise ein Jahr später mit dem Film noch immer nicht fertig gewesen sei und häufig nachgefragt, ob er das Thema denn wirklich für so berichtenswert halte. Während seiner neunjährigen Entstehung  war der Film begleitet davon, dass Institutionen, Behörden und Medien das Thema gewaltbereite Neonazis und Rechtsrockkonzerte massivst unterschätzten. Als positives Gegenbeispiel wird die Polizei Berlin genannt, die ihre Beamten extra für den Umgang mit rechtsextremen Veranstaltungen schult und konsequent eingreift– dies sei jedoch leider nicht bundesweit der Fall.

Nur ein kurzes Umdenken durch den NSU

Nach dem Auffliegen des NSU bekam „Blut muss fließen“ Aufwind. 2012 wurde er auf der Berlinale gezeigt und dadurch einem größeren Publikum bekannt, zudem erhielt er den Alternativen Medienpreis und wurde vielfach gelobt. Seitdem wird er regelmäßig vorgeführt. Durch den Druck befasste sich auch die mediale Öffentlichkeit stärker mit dem Thema. Das Interesse scheint jedoch wieder verflogen zu sein. Die Besucher_innenzahlen gehen zurück und langfristige Konsequenzen fehlen. Ein wirklich konsequentes Eingreifen bei rechtsradikalen Konzerten sei noch immer häufig Mangelware, mokiert Ohlendorf. Existiert Videomaterial, wird nach vorheriger Leugnung oder Herunterspielen von Straftaten zwar ein Strafverfahren eingeleitet,allerdings selten erfolgreich: Wenn Neonazis nicht vor Ort nach Zeigen des Hitlergrußes oder wegen bestimmter Symbole festgenommen werden, ist ein verpixeltes Handyvideo nicht Beweis genug, zweifelsfrei die jeweiligen Verantwortlichen herauszustellen. Ein Grund dafür ist jedoch auch die Tatsache, dass die Konzerte häufig jenseits der deutschen Grenzen stattfinden, etwa in Ungarn. Die dortige Bevölkerung, die häufig weiter rechts steht als die deutschen Durchschnittsbürger_innen (die nationalkonservative, rechtspopulistische Regierungspartei Fidesz unter Viktor Orbán erhielt bei der diesjährigen Wahl in Ungarn circa 49 % der Stimmen), sowie die Behörden sehen dies vor Ort noch weniger kritisch als hier.

Unterschätzen ist gefährlich

Was dieser Film jedoch auch zeigt: Neonazistrukturen werden häufig unterschätzt. Dass sie in der Lage sind, Tausende von Konzertbesuchern unbemerkt bis nach Norditalien zu schleusen, weist auf eine internationale Vernetzung hin. Die britische Blood and Honour-Bewegung ist beispielsweise unter anderem Namen auch in Deutschland aktiv. Wer die Konzerte besuchen möchte, wird von Treffpunkt zu Treffpunkt weitergeleitet und erhält oft erst am Ende die Adresse der Konzertlocation. Insbesondere für junge Menschen stellt die Musik allerdings einen wichtigen Anknüpfungspunkt zur Szene dar, die Musik transportiert die Ideologien und fungiert als „Einstiegsdroge“ für rechte Kreise. Insbesondere, wenn die Organisatoren von Rechtsrockkonzerten aus den Dörfern stammen, in denen die Festivals stattfinden, ist der soziale Zusammenhalt stark. Der Sohn des Nachbarn ist im Zweifel „einer von uns“, seine rechtsextreme Ideologie wird als zwar etwas seltsam abgetan, aber eigentlich ist er ganz lieb. Dazu kommt etwa in Ostdeutschland eine ohnehin stärkere Toleranz für rechtes Gedankengut. Durch die mangelnde öffentliche Infrastruktur, die noch immer in vielen ostdeutschen Provinzen herrscht, fungieren dort Rechtsradikale mitunter als Alleinunterhalter der Jugendlichen und erfahren großen Zulauf. Werden Organisationen verboten, gründen sich neue Gruppierungen. Wie bei Räuber und Gendarm finden die Rechten stets neue Wege, sagt Ohlendorf. Allerdings hätte die Polizei Mittel und Wege, derartige Veranstaltungen konsequent zu verbinden. Beim Verdacht auf weitreichende Straftaten kann dies passieren. Die Konzerte der Vergangenheit belegen eine genügend hohe Anzahl – trotzdem finden viele weiter statt. Polizist_innen seien oft nicht ausreichend geschult, generell ist aber ein vorheriges Unterbinden wesentlich sinnvoller – denn ein Festival mit 1000 betrunkenen Neonazis bringt nicht zuletzt die eingesetzten Polizist_innen in Gefahr, wenn sie die Straftaten aufnehmen müssen. Dass einige von ihnen dann lieber vor der Halle warten und der Gefahrensituation entgehen möchten, ist zumindest nachvollziehbar. Bestimmte autoritäre Strukturen und mitunter Akzeptanz für Rassismus in den eigenen Reihen zeigen jedoch auch, dass auch und insbesondere innerhalb der Polizei dringender Handlungsbedarf besteht.

Was vom Film und dem Gespräch bleibt, ist ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, vor allem darüber, dass die Aufmerksamkeit für das Thema so schnell wieder verflogen ist. Ohne konsequentes Eingreifen können sich Neonazistrukturen ausbreiten und werden stark – diese Gefahr scheint mitunter im Verständnis politischer Parteien noch nicht angekommen zu sein. Es ist einfacher, über islamistischen Terrorismus zu sprechen, denn in der öffentlichen Wahrnehmung erfolgt hier noch immer eine häufige Abgrenzung von „uns“ gegen „die Islamisten“, die nicht zu „unserer“ Gesellschaft gehören. Rassistische Aussagen, die innerhalb der eigenen Peergroup stattfinden, werden oft leichter akzeptiert – denn die Sprechenden werden stärker als Teil „unserer Gesellschaft“ wahrgenommen. Hier gilt es, einzugreifen und derartiges Gedankengut langfristig zu bekämpfen– auch und gerade in der Mitte der Gesellschaft. Auch die Politik muss begreifen, dass Neonazis kein vorübergehendes, sondern gut organisiertes Phänomen sind. Ein erster Schritt wäre etwa eine Stellungnahme von Schäubles Büro zur Ablehnung des Interviews mit Thomas Kuban oder eine selbstkritische Reaktion des bayerischen Innenministeriums. Dies würde zeigen, dass politische Akteure die Wichtigkeit des Problems begriffen haben und es angehen wollen. Beides ist bisher ausgeblieben.

 

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