Samstag, April 20, 2024
Allgemein Kultur

Von der Hilfe zu einer freiverantwortlichen Tat

zum Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung

von Jan Bachmann

Foto: Rainer Sturm
Foto: Rainer Sturm

Das neue Gesetz zur Strafbarkeit der Beihilfe zur Selbsttötung
Zunächst mag es als etwas verwunderlich erscheinen, in einer Zeitung, deren Leser_innnenschaft zum größten Teil aus Studierenden besteht, über das Sterbehilfe zu schreiben, scheint die Beschäftigung mit dem Tod doch noch in weiter Ferne zu liegen. Der Tod, der nun einmal auch zum Leben dazugehört, wird heute mehr und mehr aus dem Leben herausgehängt, die Auseinandersetzung mit dem Tod erfolgt nur unzureichend.
Zum anderen lässt sich aber auch an der Diskussion und der anschließenden Einführung der Strafbarkeit der Beihilfe zur Selbsttötung gut zeigen, wie vermeintliches Moraldenken die Regeln des Zusammenlebens in der Gesellschaft bestimmen kann und zu welch fatalen Fehlentwicklungen dies führen kann.

Was ist die Beihilfe zu Selbsttötung?
Das Thema Sterbehilfe ist nicht einfach, bei der Beurteilung spielen etwa ethische Überzeugungen eine Rolle, aber auch die Tragik des Einzelfalls. Hinzukommt eine sehr unübersichtliche juristische Situation.
Es gibt verschiedene Formen der Sterbehilfe, die Grenzen verlaufen manchmal fließend und so soll hier nur ein grober Überblick gegeben werden.
Die aktive Tötung eines Menschen auf dessen Wunsch hin (aktive Sterbehilfe) ist in Deutschland strafbar. Stirbt ein Mensch hingegen an dem natürlichen Verlauf seines Leidens, weil eine medizinisch notwendige Behandlung auf seinen Wunsch hin nicht durchgeführt wird (passive Sterbehilfe), besteht keine Strafbarkeit. Ebenso wird keine Strafbarkeit begründet, wenn die schmerzlindernde medikamentöse Behandlung ein_e unheilbar Kranken zu einem verfrühten Tod führt (indirekte Sterbehilfe).
Bei der Beihilfe zum freiverantwortlichen Suizid wird – in der Regel durch das Zur –  Verfügung – Stellen eines tödlichen Giftes – ein_e Kranken die Möglichkeit gegeben, das eigene Leben zu beenden. Die Selbsttötung selber ist seit Einführung des Reichsstrafgesetzbuches nicht strafbar. „Beihilfe“ ist ein juristischer Begriff. Wegen Beihilfe macht sich strafbar, wer ein_e anderen bei einer Straftat hilft. Da nun aber die Selbsttötung keine Straftat ist, war bis jetzt auch die Beihilfe dazu eigentlich nicht strafbar. Im Strafrecht kann man sich eines Deliktes nicht nur durch aktives Handeln schuldig machen, sondern auch dadurch, dass man durch Unterlassen einen Taterfolg nicht verhindert. Dazu muss man eine spezielle Schutzpflicht gegenüber dem Opfer haben. Eine solche Schutzpflicht wurde auch von Gerichten für Ärzte angenommen, wenn diese ein_e Patient_in ein tödliches Mittel zu Verfügung stellten, dass diese_r dann selber einnahm. Sobald der Zustand der Bewusstlosigkeit erreicht war, das „Opfer“ also nicht mehr zu einer eigenen Entscheidung in der Lage war, hätte die Ärztin oder der Arzt einschreiten müssen. Heute folgt die Rechtsprechung dieser Auffassung nicht mehr, doch ist eine eindeutige Distanzierung von dieser Verurteilungspraxis nie erfolgt. Hinzu kommen zahlreiche verschiedene Regelungen in den Ordnungen der Landesärzteschaften, die die Situation juristisch noch komplizierter machen.
In den letzten Jahren wurden Sterbehilfevereine in Deutschland tätig. Diese Vereine geben ihren Mitgliedern, wenn sie wegen der Leiden einer unheilbaren Krankheit ihr Leben beenden wollen, die Möglichkeit, ihr Leben selbst zu beenden. Entscheidend bei er Beihilfe zum Suizid ist, dass die Selbsttötung eigenhändig von einem freiverantwortlich handelnden Menschen durchgeführt wird.

Handlungsbedarf aus verschiedenen Richtungen
Verschiedene Seiten sahen die Notwendigkeit, die Frage der Beihilfe zur Selbsttötung rechtlich zu regeln. Auf der einen Seite forderten liberale Kräfte eine Regelung, die mit der Rechtsunsicherheit und der standesrechtlichen Sanktionierung der Ärzt_innen Schluss macht und klar festschreibt, dass eine Beihilfe zur Selbsttötung nicht strafbar ist. Auf der anderen Seite wurde ein Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung gefordert, weil man durch das Tätigwerden der Sterbehilfsvereine eine Normalisierung der Selbsttötung befürchtete. Andere wiederum befürchteten eine Kommerzialisierung der Selbsttötung. Wie bei solchen Fragen üblich spielten Parteigrenzen bei der Diskussion keine Rolle.

Vom Recht, das eigene Leben zu beenden
Der Diskussion großteils vorgelagert ist die Frage nach der juristischen Beurteilung der Selbsttötung. Heute ist die verbreitetste Ansicht, dass es ein Recht des Menschen ist, sein eigenes Leben selbst zu beenden. Jedoch wird heute auch noch vertreten, dass der Mensch dieses Recht nicht hätte, ausgenommen nur bestimmte Einzelfälle, wie etwa im Krieg. Nach beiden Ansichten ist jedoch die Straflosigkeit der Selbsttötung richtig: Für die einen, weil sie kein Unrecht darstellt, für die anderen, weil sie zwar Unrecht darstellt, man sie aber nicht bestrafen kann und sollte.
Die größte Befürchtung der Befürworter_innen eines Verbotes der Beihilfe war, dass die Selbsttötung zu etwas Normalem werde, dass sich im Zweifel gar Menschen genötigt sehen würden, ihr Leben zu beenden, um niemandem zur Last zu Fallen. Begründet wurde das mit unterschiedlichen, mal mehr, mal weniger taktvollen Argumenten: Wer Beihilfe leiste zum Suizid, der töte quasi selber, hieß es etwa – verkannt wird dabei jedoch völlig die autonome Entscheidung der Betroffenen und auch der schwer innerliche Konflikt der Helfer_in. Auch wurden Begriffe wie „lebensunwertes Leben“ benutzt, die in diesem Zusammenhang schlicht unangebracht sind.

Richtiges tun, statt Falsches zu verbieten
Weiter ist fraglich, ob die Einführung der Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid überhaupt geeignet ist, die Zahl der Selbsttötungen zu verringern. Wenn etwa angeführt wird, dass sich Menschen zum Suizid gezwungen sehen würden, weil sie keine Last für andere sein wollen, weil es keinen Platz für sie gibt, wäre es da nicht sinnvoller Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen diese Menschen sich selbst nicht als Last empfinden würden? Dazu gehört zum Beispiel ein Ausbau der palliativen Medizin.
Das beschlossene Gesetz stellt die Beihilfe zur Selbsttötung dann unter Strafe, wenn sie geschäftsmäßig geschieht. Geschäftsmäßig bedeutet, dass sie wiederholt durchgeführt werden soll. Eine Absicht, damit Geld zu verdienen ist nicht nötig.
Die einmalige Hilfe ein_er Ärzt_in ist demnach nicht strafbar, wenn nicht die Absicht besteht, auch anderen Patient_innen beim Suizid zu helfen. Was aber, wenn nun verschiedenen Leuten aus dem jeweiligen Einzelfall heraus geholfen wird? Die Rechtsunsicherheit ist durch das neue Gesetz größer geworden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich Patient_innen scheuen, möglich Suizidgedanken, über die man in einem ärztlichen Gespräch hätte reden können, offen anzusprechen. Ebenso können Erkrankte in einen Brutalsuizid getrieben werden, wenn sie – nach einer entsprechenden Diagnose – ihr Leben lieber frühzeitig selber beenden, aus Angst, später dazu keine Möglichkeit mehr zu haben.
Argumentiert wurde auch, dass der Mensch zwar die freie Entscheidung habe, sein Leben zu beenden, dass die Angebote von Sterbehilfeorganisationen diese freie Entscheidung aber unmöglich machten durch ihr Angebot, Hilfe beim Suizid zu leisten. Richtig ist das Gegenteil, wenn kein Angebot mehr besteht, Hilfe beim Suizid empfangen zu können, dann besteht auch keine freie Entscheidung mehr.
Die Diskussion über den Suizid unheilbar Kranker färbt unweigerlich auch auf die Problematik des Suizids insgesamt ab. Es ist ein Problem, eine Tragödie, wenn ein Mensch sich tötet, aber es ist auch ein Symptom für etwas, das falsch läuft.
Statt Verboten täte Hilfe Not. So gibt es etwa immer noch eine Stimmung, auch angefeuert durch Zeitungsartikel, die dazu führt, dass die Suizidrate unter homosexuellen Jugendlichen wesentlich höher ist  als unter Heterosexuellen. Und es sind die gleichen Autoren, die „jedes Leben schützen“ wollen, und Kranken und Leidenden die Hilfe verwehren, aus einer Moral heraus, die zum reinen Selbstzweck geworden ist und den Menschen völlig vergisst.
Es gilt Menschen zu helfen und es gilt auch die freiverantwortliche Entscheidung eines Menschen zu respektieren.

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