Mittwoch, April 24, 2024
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Die LINKE Bonn diskutiert Sexarbeit

Wie positionieren zum Thema käuflicher Sex? Eine Partei disputiert kontrovers ihre Haltung

 von Sam F. Johanns

Handelt es sich bei Sex gegen Geld um eine klassische Erwerbstätigkeit, beziehungsweise sollte ihm dieser Status zukommen oder ist seine Inanspruchnahme eine unmoralische, menschenverachtende und bestenfalls strafwürdige Handlung? Diese Frage war Gegenstand einer Podiumsdiskussion der Partei Die Linke am Dienstag, dem 26.04.
Schon im Vorfeld der Veranstaltung war im Zuge der Vorbereitung eine kontroverse Diskussion prognostiziert worden, was sich auf ganzer Linie bestätigte, als im gut gefüllten Podiumsaal des Pauke Kulturbistros die Besucher_innenschaft schließlich zu etwa gleichen Teilen aus Befürwortenden und Kritiker_innen eines Prostitutionsverbotes bestand.
Schon die sprachlichen Mittel, mit denen über den Sachverhalt gesprochen wurde, legten Zeugnis über die tiefen Differenzen ab, die zum Thema bestehen. Sollte von Sexarbeit gesprochen werden oder besser durchweg von Prostitution die Rede sein? So provozierte auch die eingeladene Soziologin und Politikerin der Linkspartei Katharina Sass, welche sich aus einer, wie sie selbst sagt, radikalfeministischen Position für ein generelles Sexkaufverbot ausspricht, durch Termini wie Prostitutionsüberlebende, Ausstiegsprogramme und zugespitzten Formulierungen wie „Prostitution ist sexueller Missbrauch und Gewalt“, sowohl die Gemüter vieler Zuhörer_innen sowie das ihres direkten Gegenredners Frank Laubenburg erhitzte. Laubenburg, Sprecher der „Die Linke queer NRW“ sieht eine Begriffsanalogie, die sexuell Dienstleistende potentiell in die Nähe von NS-Opfern rückt (Prostitutionsüberlebende – Holocaustüberlende) ebenso kritisch wie die Tatsache, dass Formen freiwillig und in nicht prekärer Situation ausgeübter Prostitution bei Sass Darstellungen völlig ausgeblendet werden.
An der Existenz dieser Gruppe von Prostituierten zweifelt die Soziologin vehement, beziehungsweise beschreibt diese letztlich als „verschwindend geringen Anteil“. Es sei eine Tatsache, dass viele Aussteigerinnen im Nachhinein der Illusion von Freiwilligkeit erlegen seien. So stellt sich die Frage, ob eine Beschreibung möglicher positiven Prostitutionsformen, seien sie tatsächlich auch eher die Ausnahme, die oft katastrophalen Lebensbedingungen von Prostituierten und die für Sass dahinter stehenden patriarchalen Machtstrukturen ebenso verschleiern würde wie ein konsequentes Erwähnen von männlichen Opfern sexueller Gewalt im Bereich der Prostitution. Beides droht für die einen die Gefahr eines Greenwashings für die überwiegend als kritisch zu betrachtende Prostitution an sich zu bergen, ist für die anderen jedoch eine wichtige Bedingung gerechter Rede sowie ein tragendes Argument gegen jede Form eines strikten Prostitutionsverbots nach skandinavischem Vorbild. Laubenburg jedenfalls möchte keine Sozialgesetzgebung, die versucht, Menschen mit Gesetzen in eine Richtung zu erziehen. Das Prostitutionsverbot reihe sich in Skandinavien in eine Reihe derartig motivierter, paternalistischer Gesetze ein. Ob das skandinavische Modell die Lebenssituation von Menschen, die in der Prostitution potentiell ihre Lebensgrundlage sehen, verbessert oder gar verschlechtert habe wurde ebenfalls hochgradig kontrovers diskutiert. Wo Prostitution in der Illegalität ohnehin nicht zu vermeiden sei, habe man, so Laubenburg, nämlich bislang mit einer Liberalisierung von Sexarbeit bessere Erfolge erzielt. Mit der Gesetzesänderung von 2002 haben Sexarbeiter_innen in Deutschland die Möglichkeit, ihre Bezahlung einzuklagen und sich regulär zu versichern. Sass hält all dies für eine problematische Legitimierung eines unhaltbaren Zustandes, auch möchte sie im Bezug auf den Lohn lieber von Schmerzens- oder Schweigegeld sprechen. Kritisch gesehen an den Verordnungen von 2002, die auch verpflichtende Gesundheitnachweise und Meldepflicht beinhaltet, wird, dass Beratungsstellen wieder die Funktion von Kontrollorganisationen hätten. Zudem sei es aus rechtlichen Gründen notwendig, dass ein Freier den Klarnamen einer Prostituierten erfragen darf, um der Beweislast Rechnung zu tragen, keine ungemeldete oder gar erzwungene Prostitution in Anspruch zu nehmen. Auch verschlechtere jede Verbesserung der Bedingungen einer legalisierten und kontrollierten Prostitution strukturell die Situation für Sexarbeiter_innen, die ohne Papiere in Deutschland leben und ohnehin dann in der Illegalität der Ausbeutung ihrer Körper völlig ohne Rechtsbeistand und humanitären Hilfsangeboten ausgeliefert sind. Es sind Angebote wie die von Christa Skomorowsky, die seit 25 Jahren als Streetworkerin auf dem Bonner Straßenstrich mit Sexarbeiter_innen arbeitet, die Menschen ohne Papiere nicht in Anspruch nehmen können, wenn das Tätigkeitsumfeld im legalen Bereich gleichzeitig von polizeilichen Überprüfungsmaßnahmen gekennzeichnet ist. Es sind Dilemmata wie diese, die zeigen, dass eine Gesetzgebung zur Liberalisierung ein extrem hohes Maß an Ausdifferenzierung erfordert. Skomorowsky gab konkrete Einblicke in die Lebenswirklichkeit von Bonner Straßenprostituierten. Sie trat als dritte Referentin auf dem Podium auf und beschrieb exemplarisch die Funktion von Verrichtungsboxen, durch welche auf dem Strich ein Mindesmaß an Sicherheit und Hygiene für Sexarbeiter_innen gewährleistet werden soll. Als die Podiumsdiskussion schließlich auch für Wortbeiträge aus dem Plenum geöffnet wurde, offenbarte sich erneut ein kontroverser Meinungsaustausch innerhalb der Partei. Altmarxisten diskutierten mit Feministinnen darum, ob der Begriff der Prostitution auch auf andere Bereiche der als entfremdend beschriebenen Arbeitswelt übertragbar sei und inwiefern dies das Phänomen der kommerzialisierten sexuellen Ausbeutung des weiblichen Körpers zu marginalisieren geeignet ist. Schließlich meldeten sich noch zwei Männer mittleren Alters zu Wort. Der eine, welche sich selbst im weitesten Sinne als Dominus (Pendant zur Domina) im Kontext der sexuellen Dienstleistung verortete und die Freiwilligkeit seines Handelns und auch das seines Klientels betont sowie ein anderer, der selbst zugab, bereits Sexarbeit in Anspruch genommen zu haben. Beide reagierten auf die Vorbehalte von Sass mit nahezu aggressiver Ablehnung.
Der Tenor der Meldungen schüchterte ein, er war geeignet einen maskulin geprägten Rederaum zu unterstreichen.
Weibliche Sexdienstleistende meldeten sich übrigens nicht als solche erkennbar zu Wort.

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