FW im Interview mit L!Z-Aktivisten
Laila N . Riedmiller und Sam F. Johanns im Gespräch mit Aktivist Peter Zeisig (Pseudonym)
Wir betreten die Büroräume, die die Kampagne LIZ seit über einer Woche besetzt hält. Schilder weisen darauf hin, dass das Gebäude sorgsam zu behandeln und nicht zu vermüllen ist. Das Fotografieren ist ohne ausdrückliche Erlaubnis verboten. An den Wänden hängen Zeichnungen und Poster, aus den Boxen dröhnt Queen. Wir setzen uns aufs Sofa und lassen die Atmosphäre auf uns wirken. Nach wenigen kurzen Telefonaten betritt Peter Zeisig mit einem Kaffee in der Hand den Raum. Mittlerweile befindet sich das libertäre Zentrum im Aufbau. Rechner sind angeschlossen. Die Wände zieren Tafeln mit politischen Entscheidungen aus den Plena der Gruppe. Neben uns befinden sich etwa 10 weitere Personen in der Anlage. Gemeinsam mit Peter ziehen wir uns in den gut bestückten Umsonstladen zurück, um das Interview zu führen.
FW: Was könnt ihr zum gegenwärtigen Zustand der Büroräume der „R6“ sagen?
Peter Zeisig: Die Räume waren in einem super Zustand. Bis auf ein paar Papierhandtücher war alles leer, wir haben hier dann Möbel hochgebracht, die wir geschenkt bekommen oder selbst gebaut haben. Wir haben fließend Wasser, Strom, saubere und funktionstüchtige Klos und wir gedenken, diesen Zustand so auch beizubehalten.
FW: Sollte die Stadt keine bessere Verwendung anbieten, wollt ihr hier ein libertäres Zentrum errichten. Den Begriff des autonomen Zentrums kennt man. Was genau bedeutet euch denn der Begriff „libertär“ und wieso nennt ihr euch nicht klassisch „autonom“?
PZ: Erstmal ist „autonom“ genauso unklar wie „libertär“ und wir können uns mit dem Begriff auch gegen bestimmte Strömungen stellen, die in autonomen Zentren teilweise willkommen wären. Wir möchten uns ganz klar gegen menschenverachtende Strömungen auch in der Linken abgrenzen, bspw. Antisemitismus. Wir möchten keine Hierarchien bzw. die nicht vermeidbaren reflektieren können. Wirtschaftspolitisch sind wir alles andere als libertär, sondern klar antikapitalistisch.
FW: Was ist denn beispielsweise in einem libertären Zentrum möglich, was in anderen Institutionen nicht möglich wäre?
PZ: Wir nehmen uns für Entscheidungsprozesse die Zeit, die wir brauchen und entscheiden im Konsensprinzip. Außerdem können hier auch Veranstaltungen stattfinden, die wichtig, aber nicht gewinnbringend sind. Wir müssen natürlich irgendwie bei Null rauskommen, aber wir haben kein Profitstreben. Wer sich nicht menschenverachtend verhält, kann sich hier mit eigenen Projekten einbringen, das Plenum steht allen offen, die sich daran halten – denn Freiraum bedeutet natürlich auch Freiheit von bestimmten Dingen, wie beispielsweise Sexismus oder Rassismus.
FW: Das Gebäude liegt in unmittelbarer Nähe zum Unihauptgebäude. Welche Möglichkeiten ergäben sich für Studierende durch ein LIZ?
PZ: Die Lage ist traumhaft. Lesekreise wären beispielsweise eine Möglichkeit, es ist oft sehr schwer, ruhige Räumlichkeiten ohne Konsumzwang zu finden. Man könnte Vorträge besuchen, sich treffen und diskutieren ohne sich dafür etwas zu Trinken kaufen zu müssen. Wenn es im Hofgarten mal regnet, kann man rüberkommen und hier chillen.
FW: Gäbe es Angebote zur Raumnutzung, die euch die Stadt unterbreiten könnte, bei denen ihr das Gebäude verlassen würdet?
PZ: Absolut! Die Lage könnte nicht schöner sein, aber die Räumlichkeiten lassen zu wünschen übrig. Wir hätten gerne mehr Platz für größere Veranstaltungen, letztendlich sind das hier Büroräume und wir wollen sie in gutem Zustand belassen. Man könnte den Umsonstladen halten und verschiedenen Initiativen Büro- und Lagerräume geben, beispielsweise Refugees Welcome oder der Initiative für Flüchtlinge oder auch der AIDS-Hilfe, die hier vor drei Jahren drin war.
FW: Bislang gab es keine Verhandlungen mit der Stadt, wie ist der aktuelle Stand?
PZ: Die Stadt ist nicht auf uns zugekommen, im General-Anzeiger sagt der Bürgermeister, dass er nicht mit uns reden möchte. Da kann ich auch nur mit den Schultern zucken. Als wir uns drei Jahre lang auf legalem Wege engagiert und Aufmerksamkeit geweckt haben, hat man auch nicht mit uns geredet. Und auch andere Initiativen haben in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass man bei der Stadtverwaltung oft gegen Wände rennt. Diese Besetzung ist auch Ergebnis vieler Frustrationserfahrungen engagierter Menschen.
FW: Im Vergleich zu anderen Städten tut sich Bonn in Bezug auf Autonome Zentren ohnehin schwer, woran könnte das denn liegen?
PZ: Bonn ist ein kleines, verschlafenes, konservatives Beamtenstädchen. Viel Dorf um Bonn herum wird zu der Stadt dazugezählt, das wirkt sich natürlich auf die Struktur aus. Und da ist dann der größte Freiraum das katholische Jugendzentrum. Die Universität tut sich da leider auch sehr schwer und ist ziemlich konservativ – was man beispielsweise auch daran sieht, dass einige Dozenten AfD-Mitglieder sind.
FW: Ihr habt jüngst Kritik an den Bonner Grünen geübt, deren Jugendorganisation im Wahlkampf 2014 mit euren Forderungen und sogar mit eurem Namen Werbung gemacht hat. Aber ist es nicht auch verständlich, dass selbst für heimliche Sympathisant_innen Gründe bestehen, nicht öffentlich mit einer nicht gesetzeskonformen Aktion zu sympathisieren?
PZ: Ob sich die Bonner Grünen mit unserer Aktionsform solidarisieren ist mir herzlich egal. Wir möchten, dass Taten kommen und wenn uns angeboten wird, in einem legalen Rahmen Räumlichkeiten zu nutzen, dann können wir liebend gerne darüber reden. Außerdem sollte man das alles nicht zu ernst nehmen, wenn sich jemand für uns einsetzt und dann etwas Spott kommt, dann ist das – behaupte ich jetzt mal –auch alles irgendwo in einem freundschaftlichen Rahmen. Da kann ich allerdings nur für mich als Einzelperson sprechen, als Gruppe haben wir nicht über unser Verhältnis zur Partei oder der Grünen Jugend geredet.
FW: In euren Veröffentlichungen wird deutlich, dass ihr eine sehr heterogene Gruppe seid. Wie schafft ihr es, euch nicht zu zerstreiten?
PZ: Gar nicht (lacht). Ich behaupte einfach mal, wir sind politisch total zerstritten, aber das ist kein Hindernis für uns, weiter zusammenzuarbeiten. Solange wir unsere politischen Konflikte nicht persönlich austragen und uns trotzdem mögen und konstruktiv zusammen arbeiten, klappt das.
FW: Wie steht ihr denn zum Verhalten des Bündnisses Viva Viktoria zu der Besetzung?
PZ: Wir freuen uns, dass wir positiv wahrgenommen werden, wenn ich das richtig verstanden habe, hat Viva Viktoria sich mit all unseren Zielen solidarisiert, auch wenn man die Aktionsform der Besetzung nicht selbst gewählt hatte. Dass daraus jetzt viele eine Entsolidarisierung machen, halte ich für aufgebauscht und sachlich falsch. Eigentlich mögen die uns, soweit ich das verstanden habe. Nur dass wir hier die Idee von Eigentumsverhältnissen angreifen, finden die nicht so toll. Aber ich glaube, wir können zusammenarbeiten und die Initiative ist für uns auch ein Ansprechpartner, wenn es um die gemeinsame Gestaltung dieses Viertels geht.
FW: Bisher scheint die SIGNA Holding kein dringendes Interesse an einer Räumung zu haben, eigentlich haben Hausbesetzungen in Bonn allerdings keine sonderlich lange Lebensdauer. Was ist diesmal anders?
PZ: Was ich jetzt sage, sind Mutmaßungen ohne jegliche Grundlage. Aber natürlich haben wir uns darum auch Gedanken gemacht. Zunächst mal ist es SIGNA herzlich egal, ob wir im Gebäude sind oder nicht, solange es in gutem Zustand bleibt. Dass keine Duldung ausgesprochen wird setzt uns natürlich etwas unter Druck. Aber der existiert jetzt letztlich massiv auf die Stadt und damit sind wir – leider – aktuell auch ein Argumentationsfaktor zwischen Stadt und SIGNA, der ein bisschen für die SIGNA spricht. Die Stadt hat unter Umständen gar keinen Bock auf Leute, die antikapitalistisches Gedankengut in sich tragen und einen Lebensentwurf verbreiten, der der CDU-Regierung so gar nicht passt. Das ist ganz lustig, weil wir gleichzeitig unserem eigentlichen Gegner nutzen und so an unser Ziel, ein libertäres Zentrum, näher herankommen. Wir müssen aber aufpassen, dass wir uns nicht instrumentalisieren lassen. Wenn die SIGNA uns jetzt hier drin lässt, um der Stadt ans Bein zu pissen – ja, von mir aus.
FW: Das heißt, es könnte SIGNA möglicherweise auch ganz recht sein, wenn hier das herrscht, was in bürgerlichen Kreisen gerne als „Chaos“ bezeichnet wird?
PZ: Ja, ich glaube das würde der SIGNA gerade sehr zugute kommen, aber genau deshalb müssen wir jetzt verdammt nochmal aufpassen, dass hier alles in einem Rahmen passiert, in dem wir zwar Spaß haben, aber der keine schlechte PR auf uns abwirft. Und dass wir Dinge wie den Bürgersteig fegen penibel machen müssen ist ein geringer Preis dafür, dass wir aktuell diese Räumlichkeiten nutzen dürfen.
FW: jetzt sollen wohl doch in einigen der Gebäude Geflüchtete untergebracht werden. Wie ist denn dieses plötzliche Zugeständnis zu deuten?
PZ: Also erstmal muss ich Axel Bergfeld [der in der Lokalzeit vom 11.5. anmerkte, dass die Unterbringung von Geflüchteten das Klima des Viertels verändern könnte, Anm. d.Red.] völlig Recht geben, wenn dort Menschen untergebracht werden, die dort monatelang unter schlechten Bedingungen und ohne Arbeitserlaubnis warten, macht das natürlich eine schlechte Stimmung im Viertel. Wir sehen uns in der Pflicht, dass wir die Menschen, die hier hin kommen, gut behandeln und ihnen die Möglichkeit bieten, sich hier ebenfalls einzubringen. Dann macht das auch eine gute Stimmung im Viertel.
FW: Könnte es auch Stimmungsmache sein, um die LIZ aus dem Gebäude herauszubekommen, dass man euch nun gegen Geflüchtete auszuspielen versucht?
PZ: Das ist keine unübliche Taktik, zwei marginalisierte Gruppen gegeneinander auszuspielen. In Siegburg beispielsweise ist genau das geschehen, da hat man das seit Jahren selbstverwaltete Jugendzentrum mit der Begründung geschlossen, dass dort Geflüchtete einziehen sollten. Das ist natürlich auch eine Schwierigkeit, wenn wir einerseits eigene Interessen durchsetzen möchten, andererseits aber die Interessen von noch marginalisierteren Gruppen beachten wollen. Das SJZ hat sich damals nicht gewehrt, was in meinen Augen angesichts de aktuellen extrem rassistischen Diskurses die einzig richtige Entscheidung war. Da dies hier Büroräume sind, sollen aktuell keine Geflüchteten einziehen, was für uns heißt, dass wir ein gutes Verhältnis – zu den aktuellen Nachbarn sowieso, aber auch zu den neu hier Ankommenden – pflegen möchten. Ein mögliches Szenario wäre beispielsweise, dass die Geflüchteten hier einen Abend die Woche frei in den Räumlichkeiten gestalten könnten, beispielsweise als offene Gesprächsrunde oder Spieleabend. Man kann Workshops anbieten oder Kneipenabende oder auch Dinge, auf die ich gerade gar nicht komme. Es ist eben wichtig, dass die Interessen von Geflüchteten hier auch zum Tragen kommen.
FW: Gibt es denn Szenarien, bei denen diesbezüglich Probleme auftauchen könnten?
PZ: Ein Dilemma, das linke Helfer häufig haben, ist, dass dann eigene Ideen, beispielsweise Kapitalismuskritik oder Kritik der bürgerlichen Gesellschaft, mit den Interessen der Geflüchteten konfligieren, denn diese Arbeit besteht bspw. darin, ihnen zum Bürgerstatus zu verhelfen. Die Zielsetzungen sind oft grundverschieden. Aber praktischer Arbeit, dafür dass es Menschen besser geht, muss dann mal Vorrang gegeben werden vor theoretischer Kritik, damit man nicht die Menschen zugunsten einer Theorie verelenden lässt.
FW: Du sprachst gerade an, dass ihr die Bewohner_innen miteinbeziehen wollt. Gerade in den ersten Tagen habt ihr eine große Solidarität erfahren. Welche Rolle würdest du ihnen denn bei der Besetzung zuschreiben?
PZ: Das sind Menschen, mit denen wir hoffentlich die nächsten Jahre auch zusammenarbeiten werden und mit denen wir ein gutes Verhältnis pflegen wollen, die dann aber vielleicht andererseits auch kulant sind, wenn wir mal etwas lauter sind. Wir wollen, dass auch sie sich hier einbringen können. Wenn es schlecht aussieht, können sie uns natürlich auch das Leben zur Hölle machen, beispielsweise durch schlechte Presse oder Beschwerden bei der Polizei. Aber ich glaube, eine gute Zusammenarbeit ist im Interesse aller, die hier leben und die die Räume mitgestalten wollen. Denn: Wer will keine guten Nachbarn haben?
FW: Stummkino, Umsonstladen, Workshops, Vorträge. Welche weiteren kulturellen Aktionen schweben euch für die Zukunft vor?
PZ: Proberäume! Wenn wir einen Nutzungsvertrag oder eine Duldung bekommen, könnte man schauen, ob es dafür hier geeignete Räumlichkeiten gibt. Unglaublich nice wären Ausstellungsräume. Wir haben auch schon einen Poetry Slam veranstaltet, eine Schreibwerkstatt wäre toll oder Pen&Paper-Runden.
FW: Die Besetzung kann natürlich rechtliche Konsequenzen mit sich ziehen. Womit rechnet ihr konkret und warum nehmt ihr sie inkauf?
PZ: Man könnte denen, die die Räumlichkeiten besetzt haben, natürlich Hausfriedensbruch vorwerfen. Die SIGNA hat auch Strafantrag gestellt, das heißt die Polizei muss das verfolgen. Aber so wie ich das gerade einschätze, besteht aktuell keine konkrete Gefahr. Aber wenn Menschen bei einer Aktion der LIZ von Repression betroffen sind, werden wir sie natürlich, soweit möglich, zeitlich und finanziell unterstützen. Aber unsere Ressourcen sind begrenzt, deshalb müssen wir schauen, dass alles im Rahmen bleibt. Dass es irgendwann zur Strafverfolgung kommen kann, wissen wir. Das wussten wir aber auch schon, bevor das Gebäude besetzt wurde.
FW: Ihr habt viele Aktionen angesprochen, die vor allem Studierende als Zielgruppe ansprechen dürften – Lesekreise, Vorträge. Ihr seid sehr heterogen, trotzdem aber vermutlich überwiegend studentisch. Wie schafft ihr es, eine breite Gruppe an Menschen anzusprechen?
PZ: Wir haben den Anspruch, viele Menschen zu erreichen, das schaffen wir aber nicht so ganz. Aktuell kommen hier überwiegend Menschen unter 35 hin, das ist schade, daran müssen wir arbeiten. Man könnte dem beispielsweise begegnen mit einem Erwerbslosenfrühstück, das spricht Menschen von 18 bis 67 an und zeigt ihnen, dass es einen Raum gibt, den man gestalten kann.
FW: Ihr spielt Musik und zeigt Filme. Schon daran gedacht, GEZ anzumelden und war die GEMA schon bei euch? (Hinweis: Dies ist eine Scherzfrage)
PZ: (lacht) Tatsächlich haben wir darüber viel nachgedacht. Wir zeigen nur Filme, wo alle Rechte ausgelaufen sind. Stummfilme, das klingt super kulturell, aber wir machen das nicht freiwillig. Ich würde auch lieber irgendwelche dummen Actionmovies zeigen wo alles explodiert, aber das würde halt horrende Strafen nach sich ziehen. Und das hier ist ja auch kein öffentlicher Veranstaltungsraum, sondern, wenn man so möchte, Vereinslokalitäten.
FW: Ein Schlussword deinerseits?
PZ: Liebe Studierende, die Uni ist direkt nebenan. Wenn ihr mal zwei Stunden Zeit habt, kommt vorbei, guckt euch den Umsonstladen an, gebt Sachen ab, für die ihr keinen Platz habt und nehmt euch, was ihr gebrauchen könnt. Ansonsten bringt euch ein, macht Vorschläge. Aktuell gehen wir viel auf die Nachbarn zu und versuchen, ihnen das Konzept der Hausbesetzung näherzubringen.
FW: Peter, danke für das Gespräch!