Freitag, April 19, 2024
Allgemein

Studierende vs. Polit-Profi?

Medienberichte über Sigmar Gabriels Antrittsvorlesung

 

Die Universität Bonn hat mit der Antrittsvorlesung von Sigmar Gabriel viel mediale Aufmerksamkeit erhalten. Zahlreiche Medienvertreter befanden sich vor Ort und noch mehr Medien berichteten im Anschluss über die Veranstaltung (wir berichteten ausführlich in FW #35). Im Rahmen der Veranstaltung ist es auch zu Protesten von Studierenden gekommen – wie wurden die Geschehnisse medial aufgegriffen?

 

In der offiziellen Pressemitteilung der Universität Bonn vom 12. Januar heißt es, das Engagement von Sigmar Gabriel füge sich „in die Strategie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ein, die ihr 200-jähriges Jubiläum im Jahr 2018 zum Anlass nimmt, die Universität […] noch stärker als Schnittstelle zwischen der Wissenschaft und der nationalen wie internationalen politischen Debatte zu etablieren.“ Dieser Kontext wurde jedoch wenig bis gar nicht von den untersuchten Medien in den Berichten über die Veranstaltung aufgegriffen.

 

Dem Bonner General-Anzeiger gab Gabriel bereits im Januar ein Interview (Veröffentlichung am 15. Januar), in dem er seine eigene Rolle als Gastdozent herunterspielt („[…] in bescheidenem Umfang. Das klingt sonst so bombastisch.“) und erklärt, sein Engagement sei „ehrenamtlich und ohne jede Bezahlung.“ Wie der Express (26.1.) vorab berichtete, spiele bei einer öffentlichen Veranstaltung dieser Kategorie auch die Sicherheit eine wichtige Rolle, weshalb die Frage aufgeworfen wird: „Der Außenminister und Vizekanzler in der Uni – wird der Hörsaal dann zum Hochsicherheitstrakt?“ Es folgen Absätze über Sicherheitsvorkehrungen und ein kurzes Zitat von Gabriel, der dem Express sagte: „Europa, das ist unsere Zukunft – darüber müssen wir nachdenken, forschen, diskutieren. Bonn, das ist eine international ausgerichtete Stadt mit einer traditionsreichen Universität, die den Blick nach vorn und nach Europa richtet. Deshalb freue ich mich sehr auf die Diskussion mit den Studierenden.“

Die Veranstaltung im Hörsaal 1 des Hauptgebäudes war sehr gut besucht und es waren erwartbar viele Journalisten vor Ort. In der Sueddeutschen Zeitung (Artikel vom 16.4.) kann man sich zur Beschreibung der Stimmung im Auftakt des Textes einen Seitenhieb in Richtung der SPD nicht verkneifen: „Die Studenten sind freundlich, sie zollen dem von seinen Genossen geschassten Außenminister mehr Beifall als mancher SPD-Parteitag.“ Die Proteste der Studierenden sind der Sueddeutschen nur zwei knappe Sätze wert.

Ein Bericht der Zeit Online beginnt mit dem Absatz: „Sein erster Auftritt als Dozent dauert gerade mal 15 Minuten, da regt sich im Hörsaal I der Universität Bonn Protest. Auf der Empore entfalten Studierende ein Transparent, auf dem steht: “Gegen Iran-Siggi. Für Israel.” Sie werfen Sigmar Gabriel vor, mit dem Atom-Deal mit Iran und Waffenlieferungen an arabische Staaten die Sicherheit des Staates Israel gefährdet zu haben. “Posterboy der Hamas” nennen sie ihn auf Flugblättern, die von der Empore flattern.“ (Zeit Online am 16. April) Im Vorfeld hatten die Liste undogmatischer StudentInnen (LUST Bonn), das Bündnis gegen Antisemitsmus Köln und Refugees Welcome Bonn e.V. zu Protesten aufgerufen und zu einer Kundgebung eingeladen. Der SDS war ebenfalls vor dem Hörsaal mit einem kritischen Transparent, wurde jedoch in keinem Medium erwähnt – worüber man sich im Anschluss bei Facebook beklagte. Die Fotos der Banner im Hörsaal sind jedoch gut von Journalisten der dpa und Reuters in Fotos und Videos dokumentiert worden und kommen in fast allen Berichten über das Ereignis vor. Die Namen der Gruppen werden jedoch nur im Artikel der Jerusalem Post genannt, die auch einen Tweet mit einem Foto des Flyers im Text einbettet – allerdings Refugees Welcome als teilnehmende Gruppe auslässt.

 

In fast allen Berichten wird Sigmar Gabriels souveräner Umgang mit der Situation positiv beschrieben. “Sie müssen sich jetzt umdrehen, da hängen die ein Plakat über Israel raus. Wenn Sie sich das nicht angucken, sind die enttäuscht” zitiert der Deutschlandfunk Kultur in seinem Beitrag vom 16.4. Gabriels unmittelbare Reaktion auf das Transparent. „Doch der Protest war eher eine Steilvorlage für den Polit-Profi aus Berlin. Lässig auf seinen linken Unterarm gestützt, lächelte Gabriel und parierte die verbalen Attacken der Studenten wie ein Torhüter die Bälle beim Aufwärmtraining.“ (Kölner Stadt-Anzeiger, ksta.de vom 16.4.), die Huffington Post (16.4.) titelt über einem Video: „Universität Bonn: Gabriel wird ausgebuht – dann bringt er den Saal zum Lachen“. Der Spiegel schreibt in einem Artikel (Spiegel Online vom 16.4)., für Gabriel seien die Protestaktionen „eine Steilvorlage: Abgelesene Reden präsentiert er ganz ordentlich, richtige Qualitäten aber zeigt er im direkten Disput.“ „Gekonnt beruhigte er die Meute und entgegnete seelenruhig: „Passen Sie auf. Was halten Sie davon, wenn ich Ihre Fragen beantworte?“ berichtet der Merkur, dessen Bericht vom 16.4. den Titel „Dozent Gabriel an Uni ausgebuht – so souverän kontert er“ trägt.

 

Die Erklärungen des Flyers werden in den Berichten entweder nur sehr verkürzt oder gar nicht wiedergegeben, oftmals entsteht der Eindruck einer unausgereiften Protestaktion. „Und die bunt gemischte Zuhörermenge kam auf ihre Kosten: Gabriel hielt nicht nur einen spannenden Vortrag. Er konterte auch lautstarke Demonstranten freundlich-lässig aus.“ (Express am 17.4.). Medial wird also Sigmar Gabriels offene Haltung zum Dialog dadurch konterkariert, in dem die protestierenden Studierenden nicht als gleichwertige Diskussionspartner dargestellt werden. Die Zeit gibt ihrem Artikel – nicht ganz ohne Biss – den Titel „Der Welterklärer an der Uni“ verweist damit vor allem auf die ausholenden Erklärungen Gabriels zur weltpolitischen Situation. Es kann jedoch auch auf sein Verhalten gegenüber den Studierenden übertragen werden, dessen gutväterliches und belehrendes Auftreten die Studierenden herabsetzt. „Für sie ist der Mann da vorn offenbar noch immer amtierender Außenminister“ schreibt die Rheinische Post (RP Online am 16.4.) und suggeriert, dass sich die Proteste sogar an die falsche Person richteten, ein Politiker nach dem Ausscheiden aus dem Amt nicht mehr mit vorherigen Handlungen konfrontiert werden könne. Haben sich die Studierenden etwa einfach nur vertan?

 

Wenn in den Medien wieder die Diskussion aufkommen sollte, ob und warum die Studierenden unserer Zeit unpolitisch seien, dann könnte man die mediale Haltung zu studentischen Protesten immerhin als möglichen Teil einer Antwort in Betracht ziehen.

 

Der inhaltliche, politische Teil seines Vortrages wird überwiegend als „sehr seriös“ (RP Online) oder gar als „eine Lektion in Realpolitik“ (Sueddeutsche) bezeichnet. Die Zeit kommt zu dem Urteil, Gabriels Auftritt liefere „einen Einblick in die Welt der Diplomatie und in die Abgeklärtheit eines Mannes, für den das internationale Parkett viele Jahre eine geliebte Bühne war“. „Vor lauter weltpolitischen Zusammenhängen sind selbst die Protestierer nach ein paar Minuten verstummt.“ (General-Anzeiger Bonn) Eine Einordnung oder Kommentierung seiner Aussage? Überwiegend Fehlanzeige. Mit „tosenden Applaus“ (Express) endete die erste Vorlesung Sigmar Gabriels.

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