Donnerstag, April 18, 2024
Gastbeitrag Hochschulpolitik Politik Universität

Anwesenheitspflicht: Legal, Illegal, Scheißegal?

Gastbeitrag von Simon Merkt

 

Seit 2014, als die damalige,  rot-grüne Landesregierung ein neues Hochschulgesetz für NRW auf den Weg brachte, ist die Anwesenheitspflicht an nordrheinwestfälischen Universitäten und anderen Hochschulen eigentlich größtenteils abgeschafft. Im damals  so benannten Hochschulzukunftsgesetz heißt es in Paragraph 64 Absatz 2a:

„Eine verpflichtende Teilnahme der Studierenden an Lehrveranstaltungen darf als Teilnahmevoraussetzung für Prüfungsleistungen nicht geregelt werden, es sei denn, bei der Lehrveranstaltung handelt es sich um eine Exkursion, einen Sprachkurs, ein Praktikum, eine praktische Übung oder eine vergleichbare Lehrveranstaltung.“

Das Gesetz unterscheidet hier also klar zwischen Veranstaltungen, welche durch Interaktion der Studierenden untereinanter oder mit den Dozierenden einen Mehrwert gegenüber dem Selbststudium von Literatur, Online-Kursen oder anderer eigenständiger Methoden einen Mehrwert  bieten, und Veranstaltungen, die aus simplem Vortragen des zu erlernenden Stoffs bestehen und diesen Mehrwert  eben nicht bieten.

Doch was heißt das jetzt für das in den meisten Studiengängen als Seminar bekannte Format, in welchem  jede Sitzung abwechselnd ein Vortrag von Studierenden gehalten wird? Irgendwie machen hier Studierende ja mit, aber wirkliche Interaktion innerhalb der Veranstaltung findet nicht statt. Das Dekanat der Philosophischen Fakultät fand in einem Rundschreiben kurz nach in Kraft treten des Verbots klare Worte und schreibt nach einer kurzen Auflistung der vom Gesetzestext ausgenommenen Veranstaltungstypen (s.o.): „Für alle anderen Veranstaltungstypen – darunter ausdrücklich der Veranstaltungstyp des Seminars – darf keine Anwesenheit verpflichtend gemacht werden.“

Auch für Seminare scheint also zu gelten, dass Anwesenheit nur dann erforderlich  sein darf, wenn sie zur Vermittlung des Lernstoffs notwendig ist, hier also logischerweise nur am Tag des eigenen Vortrags.

 

Doch wieso jetzt dieser Artikel vier Jahre nach Einführung des Gesetzes? Er scheint  aus zwei Gründen notwendig.

Zum einen halten sich viele Dozierende schlicht nicht an das Verbot der Anwesenheitspflicht oder umgehen es. Vermutlich aus Angst  halbleere Veranstaltungsräume würden in erster Linie für die mangelhafte Qualität der Lehre sprechen – was sicherlich nur teilweise zutrifft – wird hier die Chance verkannt, die für Studierende besteht, wenn sie nach eigenem Tempo, zu flexiblen Zeiten und mit dem von ihnen bevorzugten Medium  lernen.

Der andere Punkt ist, dass die aktuelle, schwarz-gelbe  Landesregierung plant, unter dem Label Hochschulfreiheitsgesetz diese Wahlfreiheit der Studierenden über ihre Lernmethode wieder zu kippen und die Universitäten bzw. Fakultäten über das Ausmaß der Anwesenheitspflicht entscheiden zu lassen. Wie diese v or-Ort-Entscheidungen wohl ausfallen werden  scheint absehbar, wenn man sich konkret anschaut, mit welchen Fällen Studierende ans  hochschulpolitische Referat des Bonner AStA treten . Von vermeintlichen Übungen, die beim genaueren Hinsehen aus reinem Monolog bestehen, bis zu Anwesenheitslisten, die – und zwar erst auf Nachfrage – rein statistischen Zwecken dienen sollen und – hier gehen mündliche und schriftliche Aussagen teilweise außeinander – spätere Notengebung und Zulassungen natürlich nicht beeinflussen  scheint hier der kriminellen Kreativität keine Grenzen gesetzt.

 

Deswegen ist es unerlässlich  für die Idee hinter  dem Anwesenheitspflichtsverbot zu werben und auf die drohende Abschaffung hinzuweisen. Vielleicht kann hier ja  ein ähnlicher Erfolg wie bei den Studiengebühren für Studierende aus n icht-EU-Ländern erziehlt werden. Dieses Vorhaben wurde nach erheblichem Protest erst mal  auf die lange Bank geschoben und  es ist fraglich, ob es überhaupt noch realisiert wird.

Außerdem ist es bis zur Abschaffung noch ein langer Weg und  aktuell gilt das Verbot noch. Jeder Umgehungsversuch lässt sich also verhindern und auch,  wenn eine Klage für Betroffene ein mühsamer Weg ist, zeigt die Erfahrung, dass es oft schon reicht  Dozierende mit Nachdruk auf die bestehende Gesetzeslage hinzuweisen. Falls Angst vor negativen Konsequenzen bei der Notenvergabe besteht oder der passende Gesetzespassus nicht parat ist, hilft das hochschulpolitische Referat des AStA (hopo@asta.uni-bonn.de) gerne

 

 

 

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