Freitag, März 29, 2024
Allgemein Kultur

Welche Aufklärung leistet Bravo überhaupt noch?

Ein zweiter Blick auf die Internetseite des Jugendmagazins

von Jana Klein

Die 100 Flirttipps der Bravo waren kein Fehltritt in einem sonst auf Aufklärung gerichteten Angebot an Kinder und Jugendliche. Im interaktiven Webauftritt des Magazins wimmelt es nur so von Misogynie.

Die Pubertät ist eine Zeit voller Unsicherheit, Ängsten und neuen, verwirrenden Gefühlen. Die Erfahrung der erwachenden Sexualität wäre so schon heftig genug, wenn nicht auch noch die ganzen Veränderungen der Körper und ihre Ausdifferenzierung in »weiblich« und »männlich« hinzukommen würden. Eine Lebensphase also, in der Jugendliche jedes Anrecht darauf hätten, dass wir ihnen Aufklärung, Sicherheit, Unterstützung bieten. Sie, sprichwörtlich, ein bisschen an die Hand nehmen, ohne in ihre Räume, ihre Freiheiten, ihre Intimsphären einzudringen. Die Empörung über die 100 vermeintlichen »Flirttipps« für (heterosexuelle) Mädchen, die sie dazu verdonnern, sich klein, süß, unterwürfig, sexy und meinungslos zu machen und ihnen gleichzeitig die Schuld dafür geben, wenn sie es damit übertreiben, ging vor den Sommersemesterferien quer durch alle Medien. Die Bravo nannte ihren Ratgeber daraufhin »absolut unglücklich«, er entspreche »nicht dem Qualitätsanspruch«, den das Jugendmagazin an sich selber stelle. Aber wie sieht denn die Qualität der anderen Beiträge und der Sexualaufklärung, aus, mit der Bravo auch heute noch einen großen Einfluss auf Jugendliche haben dürfte?

Die Frage etwa, ob der eigene Busen normal ist, ob man die einzige ist, deren linke Brust größer ist als die rechte, dürfte die meisten Teenagerinnen irgendwann umtreiben. Was hat Bravo hier zu bieten? In einer Brüste-Galerie kann man sich vergleichen. Und tatsächlich bieten die 20 Fotos große, flache, mehr oder weniger hängende, asymmetrische oder kleine Brüste. Aber alle an den Körpern eher schlanker, weißer Frauen. Wer unter den Fotos keines findet, das dem eigenen Oberkörper samt Busen ähnlich ist, darf sich nicht zu den Normalen zählen. Dafür muss man sich kaum oberhalb des durchschnittlichen Körperfettanteils befinden. Man sollte auch meinen, dass die Bravo Mädchen einen geschützten Bereich zugesteht, wenn es darum geht, Selbstakzeptanz mit dem eigenen Körper zu lernen – seine schönen Seiten, aber vor allem auch die, die man nicht so schön findet. Doch weit gefehlt: Direkt unter jedem Foto prangt ein großer Kasten, in dem die Jugendlichen die Brüste bewerten dürfen. Zur Auswahl stehen etwa: »LOL«, »FAIL« , »OMG«, »HOT«, ein großes rotes Herzchen und sogar »BITCH«. Gerade dort also, wo Mädchen ein Selbstverhältnis zu Körperteilen entwickeln sollten, die für gewöhnlich dem Blick der Anderen entzogen sind, sind sie hier der schärfsten Fremdbewertung, Sexualisierung und Beschämung ausgesetzt. Das Bild mit den großen, prallen Brüsten führt in der »Like«-Rangliste mit großem Abstand. Wessen Brust derjenigen mit den meisten negativen Bewertungen ähnlich ist, die darf das als Ansage für‘s Leben verstehen.

In einem anderen Ratgeber geht es um die männliche Ejakulation auf das »Girl« (»Er will mir auf den Bauch spritzen!«). Laut einer Studie finden sich in 96% der meistgeklickten Pornos solche Szenen und der Dr. Sommer-Ratgeber verweist auch explizit auf die Filme. Ohne große Umschweife kommt die Bravo zur Sache und rät den Jungs frei heraus, Mädchen einfach anzuspritzen, wenn sie Lust dazu haben. Fragen könnten sie ja noch hinterher. Und wenn das Mädchen es nicht okay fand: »Sag ihr, dass Du es nicht wieder machst und fertig ist die Sache«. Fertig ist die Sache aber noch nicht: Für das nächste mal hat Bravo den Tipp parat, einfach ein Kondom zu verwenden. Ja, richtig: Kondome gelten hier nicht als Jugendlichen absolut nahezulegendes Mittel zur Verhütung von ungewollten Schwangerschaften und Geschlechtskrankheiten. Sie sind hier Hilfsmittel, wenn Jungs glauben, anders die von Mädchen gesetzten Grenzen beim Sex nicht respektieren zu können und sie sie, sozusagen im Eifer des Gefechts, einfach nochmal gegen ihren Willen besudeln würden. Dass sich Mädchen gefälligst alleine um die Empfängnisverhütung, nämlich per Pille, zu kümmern haben – selbstverständlich. Voraussetzung für den Kondom-Trick ist, dass den »Boy« die gesetzte Grenze überhaupt interessiert. Sodann führt die Bravo die möglichen Konsequenzen auf, wenn man sich partout nicht an das »Nein« des Gegenübers halten will: Die Freundin könnte in Zukunft »unentspannt« werden, ihn nicht mehr in eine geeignete Position lassen oder sogar, vielleicht, keine Lust mehr auf Sex haben. Wie hart eine solche »Strafe« in einem Text wirkt, in dem es sowieso nur am Rande darum geht, worauf Mädchen Lust haben, sondern fast nur darum, was sie zulassen, was sie gerade noch nicht »nervig« finden oder was ihnen »zu viel des Guten« ist – fragwürdig.

Und überhaupt: Welche Auffassung von Sex und Freundschaft liegt hier zugrunde, wenn die Sexualität und die Macht der Mädchen darauf reduziert werden, dass sie den Zugriff auf ihren Körper mehr oder weniger einschränken könnten? Sollten wir Mädchen nicht ermutigen, Beziehungen zu beenden, in denen ihre Grenzen nicht respektiert werden bzw. nur Beziehungen zu führen, in denen ihre Wünsche zählen? Beziehungen zu beenden, in denen man es nicht für nötig hält, vorher zu fragen, bevor man sehr explizite sexuelle Handlungen an ihnen vornimmt? Sollten wir Mädchen und allen Jugendlichen nicht sagen, dass Handlungen gegen den Willen, zumal gegen den explizit artikulierten, sexuelle Übergriffe sind? Damit sie sich wehren können? Damit sie anderen Menschen nicht wehtun? Sollten wir Jugendliche nicht dazu ermutigen, über ihre Sexualität miteinander zu reden? Für die Bravo offenbar eine ganz abwegige Vorstellung: »Sowas kann man schlecht beim Spaziergang besprechen«, behauptet das Dr. Sommer-Team schamlos. Allerspätestens hier wird aus Aufklärung ihr Gegenteil. Doch, man kann sehr wohl beim Spaziergang darüber reden, wohin ejakuliert werden soll.

Die Bravo reiht sich ein in die Liste der Webseiten und Magazine, auf die verantwortungsbewusste Eltern, Pädagogen und Pädagoginnen und Lehramtsstudis ein Auge haben sollten.

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