Freitag, April 19, 2024
Allgemein

Eine Großstadt im Schockzustand

Eine Studentin aus Bonn berichtet vom Terror in Paris am 13.11.15

von Lani Marie Döhring

parisWir waren bei Shakespeare and Company, einem berühmten Buchladen in der Nähe von Notre Dame, als sich die ersten Anschläge ereigneten. Während ich draußen auf einer Bank saß und ein Buch las, rasten dutzende Polizeiautos an mir vorbei. In dieser Metropole ist das nichts besonderes, daher dachte ich mir anfangs nicht viel dabei. Der Freund,  mit dem ich am Donnerstag nach Paris gefahren war, stürmte einige Minuten später aus dem Laden und sagte,  wir müssten sofort gehen, denn es hätte mehrere Terrorattacken gleichzeitig gegeben. Eine Bombenexplosion am Stadion und Schießereien.
Intuitiv liefen wir von den großen Straßen in die kleineren hinein und betraten ein kleines Café,  in dem noch die letzten Gäste saßen. Ich fragte einen Mitarbeiter ob er etwas über die Geschehnisse  wüsste, er verneinte und deutete auf den Fernseher, der das Spiel zwischen Deutschland und Frankreich live übertrug. Da war von einer Panik nichts zu sehen. Seine Nachrichtenapp berichtete allerdings bereits davon und er blickte schockiert auf die Meldungen. Dann bekam er einen Anruf und alle Mitarbeiter versammelten sich in der Küche. Wir verließen das Café. Ohne nähere Informationen erhalten zu haben, stiegen wir also in ein Taxi und ließen uns in die angemietete Wohnung fahren. Aus dem Wagen konnten wir beobachten wie alle Cafés und Geschäfte schlossen und einige Passanten schnellstmöglich sichere Unterkünfte zu erreichen versuchten. Fast alle telefonierten dabei und liefen hektisch durcheinander. Aus dem Radio drangen die aufgeregt klingenden Stimmen der Moderatoren, die wir leider nicht gut verstehen konnten, da wir kein Französisch sprechen. Dennoch begriffen wir, dass da etwas Schreckliches im Gange war.
In der Wohnung im 9. Arrondissement angekommen, zapften wir mehrere Nachrichtenkanäle an. Abwechselnd checkten wir Twitter, die Liveticker von deutschen und französischen Nachrichtensendern, die die Anzahl der verübten Anschläge alle paar Minuten nach oben korrigierten: 4, 5, 6, 7, 8. Innerhalb von drei Stunden. In fünf Restaurants und einer Konzerthalle war willkürlich in die Menschenmengen geschossen worden, parallel wurden drei Selbstmordattentate mit Sprengstoffwesten in der Nähe des Stadions begangen.
Manche der betroffenen Orte hatten wir tagsüber noch passiert.
Die Pariser Polizei twitterte die Anweisungen, drinnen zu bleiben, Nachrichten überschlugen sich, die Regierung verhängte den Notstand und schloss die Landesgrenzen. Einige Terroristen waren offenbar entkommen und flüchtig. Von draußen hörten wir nichts außer dem permanenten Geheule der Sirenen; das  immerwährende Summen der Großstadt war verstummt. An einen tiefen Schlaf war in dieser endlos scheinenden Nacht nicht zu denken.
Am nächsten Tag gingen wir gegen 13 Uhr zunächst vorsichtig vor die Tür, um uns ein Bild zu machen. Hätte ich nicht gewusst, was in der Nacht zuvor passiert war, hätte ich es beim ersten Heraustreten aus der Tür nicht gemerkt. Unsere Straße war belebt, ein paar Geschäfte hatten wieder geöffnet und die Leute saßen vor den Cafés und rauchten. Das Wetter war diesig-bewölkt, wie meistens in Paris. Eine typische Alltagsszene in diesem Viertel mit der gewohnten Geräuschkulisse. So beschlossen wir spazieren zu gehen und fuhren zu Les Halles. Natürlich war es etwas zu ruhig für einen Samstag, Museen hatten noch geschlossen, Soldaten und Polizisten patrouillierten  an bekannten Plätzen und wirkten äußerst ernst, fast versteinert.
Ich hatte an diesem Tag den Eindruck,  als ob ich kaum lachende Menschen gesehen hätte, vermutlich habe ich einfach das erste Mal seit langem wieder darauf geachtet. Es war unmöglich bei einem Gang durch die Innenstadt nördlich der Seine nicht an einem der Orte vorbeizukommen wo geschossen worden war. An der  Place de la Republique sahen wir eine Menschenmenge aus Journalisten, Parisern, Touristen und Trauernden, die Kerzen, Blumen sowie Plakate mit Botschaften an den Sockel des Denkmals niederlegten. Von dort aus kamen wir zufällig auf die große Rue Voltaire, wo in einem Café und in einer Konzerthalle ein Massaker stattgefunden hatte. Diese waren großflächig abgesperrt. Dennoch hatten die restlichen Cafés und Restaurants auf der Straße geöffnet;  überhaupt waren sie in der ganzen Stadt gut besucht und viele Pariser schlenderten durch die Boulevards. So liefen auch wir weiterhin ziellos in den Abend hinein, führten Gespräche über das was passiert war, welche Schlüsse daraus zu ziehen seien, den Mut der Pariser und Paris als ein Fest der Freude.
Angesichts der Umstände erschien uns dies als der größtmögliche  Protest gegen die Motive der Terroristen und deren Befürworter. Trotz der Toten und der Trauer war die Stadt nicht erstarrt. Der Alltag ging weiter und dazwischen lagen die Konsequenzen des Unbegreiflichen. Die Vitalität, das rege Treiben, die vielen Schicksale, die auf dem engen Raum miteinander verwoben sind, das Glück, auch die Wut und die Trauer, darin besteht alltäglich die Verteidigung der Freiheit.

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