Mittwoch, April 24, 2024
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Im Gespräch mit Daron Acemoglu

MIT-Ökonom: Prof. Daron Acemoglu
MIT-Ökonom: Prof. Daron Acemoglu

Prof. Daron Acemoglu ist einer der am meisten zitierten Ökonomen weltweit. Er forscht unter anderem in Politischer Ökonomie und ist mit James A. Robinson Autor des Bestsellers „Why Nations Fail“. In diesem untersucht er, warum es derartig starke Wohlstandsunterschiede zwischen Völkern gibt und kommt zu dem Schluss, dass vor allem Institutionen darüber entscheiden, ob ein Land reich oder arm wird. Er kam im Rahmen der Machot Lecture nach Bonn und gab der BAStA ein Interview. Die Manchot Lecture ist eine jährlich in Bonn stattfindende Vortragsreihe berühmter Ökonomen. 2008 war James Tirole zu Gast, welcher im letzten Jahr den Wirtschaftsnobelpreis verliehen bekommen hat.

BAStA: Herr Acemoglu, warum sind Institutionen so wichtig?

Acemoglu: Gesellschaften sind auf sehr unterschiedliche Arten organisiert. Dadurch entstehen enorme Wohlstandsunterschiede. Manche Leute sagen diese ergäben sich aus kulturellen Unterschieden oder gar aus purem Glück. Ich habe viel in meiner wissenschaftlichen Arbeit argumentiert, dass Institutionen und die Anreizstrukturen, die durch diese Institutionen entstehen, am meisten Einfluss auf den Wohlstand eines Volkes haben.

BAStA: Die meisten Anwälte würden wohl sagen, dass manche europäischen Länder bessere Institutionen als Amerika haben. Warum ist Amerika in Sachen Wachstumsraten und Produktivität immer noch regelmäßig besser als wir?

Acemoglu: Es kommt halt nicht immer darauf an, was Anwälte sagen. Wenn wir von Institutionen reden, dann meinen wir das etwas weiter gefasst als Anwälte Institutionen definieren würden. Diese umfassen nicht nur das, was in den Büchern steht. Viel wichtiger ist die Umsetzung. So haben die USA und Argentinien zum Beispiel schriftlich eine sehr ähnliche Verfassung. Sie werden aber sehr unterschiedlich umgesetzt. Ich denke man muss über das was in Verfassungen geschrieben steht hinausgehen. Denn im Endeffekt kann ich etwas in die Verfassung schreiben, aber wen kümmert es im Nachhinein? In vielen Verfassungen ist eine Gewaltenteilung vorgegeben, wird aber nicht umgesetzt. Der Präsident bringt seine Kritiker zum Schweigen und nichts passiert.

Der zweite Punkt ist, dass viele dieser Institutionen sich über Jahrzehnte oder Jahrhunderte unter verschiedenen Ansprüchen und Konflikten entwickelt haben. Es ist deswegen sehr schwer zu sagen, dass eine Konstellation aus Institutionen besser ist als eine andere. Wenn man jetzt also schwedische mit amerikanischen Institutionen vergleicht, kann man schlecht sagen, dass die einen besser sind als die anderen. Auf der anderen Seite kann man aber eindeutig sehen, dass schwedische Institutionen besser sind als ägyptische. Es gibt also qualitativ verschiedene Stufen.

Vergleicht man europäische und amerikanische Institutionen so fällt auf, dass sie in verschiedenen Aspekten jeweils besser oder schlechter abschneiden. Europäische Institutionen haben in den letzten 30-40 Jahren eine bessere ökonomische Absicherung für Menschen in der unteren Einkommensverteilung geschaffen und – alles natürlich generalisiert – besser die Macht reicher Menschen beschränkt. Auf der anderen Seite sind europäische Institutionen viel intransparenter als amerikanische und schlechter darin Anreize für Fortschritt zu setzen.

BAStA: In Marokko hört man oft, dass es egal sei, ob man sich anstrengt oder nicht, weil man Verbindungen zur Königsfamilie haben müsse, um über das Armutslevel hinaus zu kommen. Alle attraktiven Ressourcen wie Grundstücke, Kapital etc befinden sich in der Hand dieser kleinen Gruppe. In Amerika hingegen gibt es entgegen gesetzt dazu den American Dream. Sind gute Institutionen diejenigen, die uns das Gefühl geben in einem fairen „Spiel“ mitzuspielen?

Acemoglu: Ja, das ist das Schlüsselkonzept, welches wir in „Why Nations Fail“ betrachten. Du hast gerade inklusive ökonomische Institutionen beschrieben und für diese braucht man die richtigen Anreize. Du arbeitest, weil du davon profitierst und das ist in vielen Dritte Welt-Ländern nicht gegeben, weswegen es auch keinen Fortschritt gibt. In Ägypten hingegen gibt es exklusive Institutionen. Dort kann man sich nicht aussuchen, was man arbeiten will und sein möchte. Der Großteil der Bevölkerung ist radikal vom Wohlstand ausgeschlossen. Es ist defacto unmöglich an Wohlstand zu gelangen und man wird die ganze Zeit herumkommandiert. Das ist einfach nicht die richtige Umgebung, die es braucht, damit sich Menschen anstrengen und in größerem Ausmaß an der Gesellschaft mitwirken.

Daron mit unseren Redakteuren in Bonn
Daron mit unseren Redakteuren in Bonn

 

BAStA: Warum ist Transparenz so wichtig?

Acemoglu: Ein inklusives System zeichnet sich dadurch aus, dass eine Gruppe, die von der Macht ausgeschlossen wurde, die Möglichkeit hat zurück zu kämpfen. Wenn du der Präsident bist und dein Freund ist der Kanzler, was hält euch davon ab euch zusammen zu tun, die Macht anderer zu reduzieren und Schulfreunde oder Verwandte in die Posten einzusetzen? So ein Problem kann jederzeit in jedem politischen System auftreten.

Transparenz heißt, dass es Leute gibt die sehen, was du tust und es whistleblown werden. Das Resultat davon ist, dass dich Menschen kritisieren werden. Sie werden auf die Straße gehen und versuchen dich zu stürzen. Das sind die Schritte, mit denen eine von der Macht ausgeschlossene Gruppe zurück kämpfen kann. Eben diese Mobilisierung hängt von der Transparenz des Systems ab bzw. den Informationen, die man erhält.

Das ist, was ich vorhin andeuten wollte: Es gibt viele Aspekte am US-System die wirklich wirklich schlecht sind. Menschen mit Geld haben z.B. zu viel politischen Einfluss. In Deutschland und Frankreich hat man hingegen ein anderes System. Es gibt auch hier Koalitionen zwischen Unternehmern, Bankiers und Politikern, leider weiß davon nur niemand.

BAStA: China wächst phänomenal und ist mit Sicherheit keine Demokratie. Ist es nicht ein sehr amerikanischer Idealismus zu behaupten, dass das eigene Modell das einzig wahre ist?

Acemoglu: Für politische Inklusivität braucht man grundsätzlich drei Elemente. Es muss einen gewissen Grad an Zentralisierung geben. Länder wie Somalia sind einfach zwischen den Clans zersplittert. Zweitens muss es eine weite Verteilung der politische Macht geben. Sie darf nicht in der Hand einer einzigen Gruppe liegen. Zu guter Letzt muss die politische Macht der Exekutive beschränkt sein. Dies kann durch die Verfassung, durch die Medien, gegenseitige Kontrolle, zivile Organisationen oder etwas anderem geschehen.

Diese Definition umfasst mehr als nur demokratische Systeme und innerhalb der Kommunistischen Partei findet auch ein Interessenausgleich statt, aber dass die KP Macht an die Gesellschaft überträgt, das wird nie passieren und deswegen ist dieses System nicht inklusiv. Demokratie ist Ineffizient und hat viele Probleme aber sobald man den Bereich der Demokratie verlässt, kommt man in noch größere Probleme.

 

BAStA: Sie forschen in sehr vielen Bereichen. Politische Ökonomie, Entwicklungsökonomik, Wachstumstheorie, Technologie, Einkommens- und Lohnungleichheit, Bildungsökonomik und Arbeitsmarktökonomik um nur einigezu nennen. Was ist der rote Faden, der all diese Forschungsfelder verbindet?

Acemoglu: Es hat sich alles aus dem Bedürfnis entwickelt, die Fragen, die wir eben besprochen haben, zu verstehen. Irgendwann ist es unabwendbar sich mit Arbeitsmarktökonomie oder Transparenz zu beschäftigen. Wenn man über Transparenz in den Medien nachdenkt, muss man wiederum beachten, wie Meinungen geformt werden.

Man könnte zum Beispiel argumentieren, dass die große amerikanische Medienanstalt „Fox News“ gut für Transparenz ist, weil es sehr aggressiv gegen Politiker – meistens Demokraten – vorgeht. Es könnte aber auch genauso gut schlecht für die Transparenz sein, weil es viel Streit kreiert, viele Lügen in die Welt setzt und Dinge je nach Präferenz sehr unterschiedlich behandelt.

Natürlich könnte man diese Fragen empirisch untersuchen. Wenn man aber ein tieferes Verständnis erlangen möchte, ist es wichtig darüber nachzudenken, wie wir Informationen verarbeiten und Meinungen geformt werden. Wem vertrauen Menschen? Kann man sie leicht in die Irre führen? Das führt dich auf ein viel theoretischeres Level, auf dem man sich damit beschäftigt, wie wir Informationen glauben und wie Meinungen „geupdated“ werden.

Um zu der Frage zum roten Faden zurück zu kehren: Wenn man ein Grundinteresse hat und dieses verfolgt, dann muss man auch in anliegende Themenfelder eindringen.

BAStA: Da wir gerade Meinungsbildungsprozesse angeschnitten haben. In Bonn wird viel im Bereich der Verhaltensökonomie geforscht. Dabei wird häufig mit Psychologen zusammen gearbeitet. Was halten Sie davon?

Acemoglu: Das sind zentrale Fragen in der Sozialwissenschaft. Es gibt keinen Zweifel, dass Menschen nicht komplett rational sind. Dass sie unter gewissen Beschränkungen agieren und man untersucht, welche Dinge sie z.B. aufnehmen und verstehen können oder wie gut sie sie optimieren können. Ich denke es ist wichtig diese Sorte irrationalen Verhaltens zu verstehen.

Was die Implikationen der Verhaltensökonomie ist, ist aber denke ich immer noch eine offene Frage. Dieses Forschungsfeld befindet sich ja immer noch in den Kinderschuhen. Die echten Testfälle werden erst noch kommen, wenn man realistische und empirisch belegte Versionen verhaltenstechnischer Ideen in die Kernfragen der Ökonomik einbaut und damit deren grundlegendes Verständnis verändert. Das werden wir wahrscheinlich in der nächsten Dekade erleben.

Die Armut in Indien könnte man zum Beispiel – wie ich es tue – über die institutionellen Rahmenbedingungen erklären. Andere Forscher hingegen argumentieren, dass wenn man Armut verstehen will, mit einbeziehen muss, dass arme Menschen öfter schlechte Entscheidungen treffen als reiche Menschen und sich dadurch Armut selbst rekreiert.

Das wäre z.B. eine Kernfrage der Ökonomik und eine verhaltensökonomische Antwort, die wenn sie wahr wäre, ökonomisches Denken verändern würde.

BAStA: Die Welt hat hohe Erwartungen an Ökonomen. Werden wir noch vor den Physikern die Weltformel, die alles erklären und vorhersagen kann, finden?

Acemoglu: Nein auf keinen Fall. Physik ist sogar in manchen Bereichen einfacher als Ökonomie, weil man in der Ökonomie mit Billionen von Menschen, deren Entscheidungen sich aus sehr komplexen Prozessen zusammensetzen, zu tun hat. Es ist deswegen schwer Fortschritte in dieser Richtung zu machen. Außerdem sind wir auch eine sehr junge Disziplin.

Es gibt in vielen Bereichen der Gesellschaft auch falsche Erwartungen darüber, was Volkswirtschaftslehre ist. Viele meinen, dass wir im Wahrsager-Geschäft sind. Selbst in gehobenen Blättern wie der New York Times und The Economist wird das oft propagiert.

Aber darum geht es bei der Volkwirtschaftslehre nicht. Wie in jeder Sozialwissenschaft ist es wichtig Tendenzen zu finden und aufzuzeigen. Sonst wären wir bei vielen Entscheidungen und Debatten, die wir als Gesellschaft finden und führen müssen, verloren.

whynationsfailBAStA: Was würden sie unseren Studenten empfehlen?

Acemoglu: Folgt immer eurer Leidenschaft und seid motiviert! Lasst euch nicht von eurem Studium oder den Möglichkeiten, die ihr habt, demotivieren. Alles in allem sind wir sehr gesegnet in dieser Zeit zu leben und es ging der Menschheit noch niemals besser als jetzt. Das ist das Ergebnis von Menschen, die ihren Träumen gefolgt sind.

BAStA: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führten Julian Görlitz und Jonas Janoschka

 

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