Dienstag, März 19, 2024
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Leser_innenbrief zu den FWs 4 und 6

Von Sven Schmitt

Seit Beginn meiner Zeit an der Uni Bonn lese ich interessiert die Basta-Zeitschrift und das neue Format Friedrichs Wilhelm. Dabei ist mir in den Artikeln „Bad Blood“ und „Eine Unterstreichung typischer Vorurteile“ aus der Ausgabe No. 4 und im Artikel „Pick-Up-Artists an deutschen Universitäten“ aus der Ausgabe No. 6 aufgefallen, dass der Begriff „Differenzierung“ jeweils sehr einseitig ausgelegt wird. Im Sinne dieser Differenzierung möchte ich deshalb jeweils eine Gegendarstellung ergänzen.
In den Artikeln „Bad Blood“ und „Eine Unterstreichung typischer Vorurteile“ wird der Ausschluss von MSM (Männern, die Sex mit Männern haben) vom Blutspenden vornehmlich als gezielte Diskriminierung eben dieser dargestellt. Der Ausschluss wird von Seiten der Blutspendeeinrichtungen mit der höheren Verbreitung des humanen Immundefizienzvirus (HIV) in dieser Gruppe argumentiert. Ich möchte zunächst einige Informationen zu den Themen HIV und AIDS darstellen. Beim Tod durch das von HIV verursachtem erworbenen Immunschwäche Syndrom (AIDS) fällt man nicht einfach eines Tages tot um. Stattdessen ist der Prozess häufig begleitet von einem extremen Gewichtsverlust, Infektionen von Lunge, Speiseröhre und Mund durch Bakterien und Pilze und zahlreichen Krebserkrankungen wie Analkarzinomen und dem Kaposi-Sarkom. Mit anderen Worten, die betroffenen Menschen siechen dahin. Dieser Prozess kann durch den Einsatz von hochaktiver antiretroviraler Therapie (HAART) verhindert werden, diese hat aber mitunter starke Nebenwirkungen wie Alpträume, Durchfälle, Nierenprobleme oder Fettverteilungsstörungen. Mitunter ist die Krankheit aufgrund von Resistenzen nicht behandelbar. Dass es auch HIV-infizierte Menschen gibt, die ohne Nebenwirkungen leben und eine hohe Lebenserwartung erreichen, sollte nicht über die extreme Gefahr für Leben, Gesundheit und Lebensqualität einer HIV-Infektion hinwegtäuschen.

Im Artikel „Eine Unterstreichung typischer Vorurteile“ wird auf die Fähigkeit des Einzelnen hingewiesen, verantwortungsvolle, risikobewusste Entscheidungen zu treffen, weshalb ein Gruppen-bezogener Ausschluss von Menschen vom Blutspenden falsch sei. Trotz jener Fähigkeit verhält es sich jedoch so, dass auf die Gruppe der MSM nicht nur der Großteil der HIV-Infizierten in Deutschland entfällt, sondern auch etwa 3/4 der jährlichen Neuinfektionen. Eine große Anzahl von Individuen dieser Gruppe trifft also offensichtlich immer wieder risikobereite Entscheidungen. Natürlich treffen MSM vermutlich ebenso viele und schwerwiegenden risikobereite Entscheidungen wie andere Menschen auch. Wie im Artikel „Bad Blood“ erwähnt haben MSM jedoch ein deutlich höheres HIV-Infektionsrisiko (genauer gesagt: 46 mal höher laut dem Robert-Koch-Institut, 2014), weshalb ihre risikobereiten Entscheidungen gefährlichere Konsequenzen haben können. Dass der Ausschluss von MSM vom Blutspenden indirekt auch ein Ausschluss von homosexuellen Männern ist, ist nicht zu bestreiten, ebenso wenig, dass es sich dabei um Gruppen-bezogene Diskriminierung handelt. Warum im Artikel „Bad Blood“ auch auf homosexuelle Frauen eingegangen wird und in „Eine Unterstreichung typischer Vorurteile“ von einem „pauschalen Blutspendeverbot aufgrund des homosexuellen Geschlechtsverkehrs“ gesprochen wird, ist für mich jedoch nicht nachvollziehbar, wo es doch um Männer geht. Das Entscheidungskriterium ist zudem ausdrücklich nicht die sexuelle Orientierung, sondern das Sexualverhalten.
Die Abwägung von Leben und Gesundheit von Empfangenden von Blutprodukt, also von Großmüttern, syrischen Asylsuchenden, Burschenschaftlern, Demonstrierenden und Philosophie-Studierenden gegenüber dem Recht von MSM, Blut spenden zu dürfen – nicht dem Recht an Wahlen teilzunehmen oder dem Recht zu studieren, sondern dem Recht Blut zu spenden! – wird zugunsten der Unversehrtheit von Patient_innen und zugunsten eines Ausschluss von Risikogruppen, also auch einer systematischen Diskriminierung von Menschen mit einem bestimmten Sexualverhalten gefällt. Das ist für mich persönlich die einzig ethisch vertretbare Entscheidung, solange auf die Fähigkeit jedes einzelnen Blutspendenden, nur verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, nicht restlos Verlass ist.
Im Übrigen ist auffällig, dass die Autor_innen in der Friedrichs Wilhelm in der Ausgabe No. 4 zwar einerseits homosexuellen Männern die Fähigkeit zu verantwortungsbewussten Entscheidungen zusprechend, weshalb zwischen den MSM differenziert werden sollte, dabei aber gleichzeitig allen Mitgliedern von Burschenschaften und Studentenverbindungen die selbe Fähigkeit absprechen, weshalb zwischen diesen nicht differenziert zu werden brauche. Von den etwa 30 Mitgliedern von Studentenverbindungen, die ich oberflächlich und den 3 Mitgliedern, die ich näher kenne, werden mehrheitlich vernünftige, wenn auch oft konservative Ansichten vertreten. Dabei stellt sich natürlich auch die Frage ob konservative und/oder traditionelle Ansichten per se immer schlecht sein müssen, oder ob einzelnen bei näherer Betrachtung nicht doch auch etwas Gutes beigemessen werden kann – freilich nicht zu oft! Was wiederum nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass es nationalistische, rassistische, sexistische Verbindungen gibt. Und solche, die es nicht sind. Da kommt es wohl auf die Betrachtung der jeweiligen Gemeinschaft und des einzelnen Mitgliedes an.

Sexismus ist das bestimmende Thema in der Ausgabe No. 6 der Friedrichs Wilhelm. Zu Beginn des Artikels „Pick-Up-Artists an deutschen Universitäten“ wird die Pick-Up-Szene definiert als „Szene von Männern, die die sexuelle Belästigung zu einem Metier professionalisiert haben. Je mehr Frauen man abgeschleppt hat, desto besser. Mit bestimmten Tricks und Vorgehensweisen könne man jede bekommen.“
Auf mich wirkt diese Definition sehr undifferenziert. Das mag auch daran liegen, dass ich selbst (kostenlose) Seminare für Männer anbiete, die es ihnen leichter machen sollen, Sexual- bzw. Beziehungspartnerinnen zu finden. Warum ich das tue? Das Balzverhalten in einer patriarchalisch-heteronormativen Gesellschaft birgt Nachteile für Frauen und Männer. Während die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung ein Phänomen ist, dass im Wesentlichen Frauen betrifft und Männer dies eher selten erleben, machen Männer wiederum sehr viel häufiger die Erfahrung, von Frauen im Rahmen von Flirt- und Balzverhalten sowie Partnersuche Ablehung zu erfahren, als das umgekehrt der Fall ist. Ablehnung kann sehr schmerzhaft sein und gerade in einem Bereich, wo die eigene Sexualität oder gar die ganze eigene Person involviert ist, umso mehr. Viele Männer haben einen entsprechenden Leidensdruck und eine panische Angst davor, das Risiko einzugehen, eine solche Ablehnung erneut erfahren zu müssen. Mein Ziel bei meinen Seminaren ist, Männern zu helfen, diese Angst zu überwinden. Zu erklären, was sie anziehend machen und was dagegen bei Frauen Angst oder Abneigung auslösen kann. Das soll ihnen die Möglichkeit zu geben, sich der Bewertung von Frauen erneut zu stellen und dabei besser abzuschneiden als zuvor. Genau diesem Wunsch, die Welt ein Stück besser zu machen, bin ich auch bei meinen Kontakten mit der Pick-Up-Szene immer wieder begegenet. Dass es in dieser Szene auch eine dunkle, frauenverachtende, wetteifernde Seite gibt, ist unbestreitbar. Da hilft wohl nur wieder eine Differenzierung.

Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, mich bei der Redaktionen von Basta und Friedrichs Wilhelm für die zahlreichen, informativen und unterhaltsamen Artikel zu bedanken, sowie für die Möglichkeit, diesen Leserbrief zu schreiben. Und dafür, dass sie ein ebenso linkssockig-liberal-progressives Weltbild vertreten, wie ich es ebenso mein Eigen nenne.

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