Donnerstag, März 28, 2024
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„Lügenpresse!“

Zur Genese des Begriffs und der Verwendung des Wortes bei Akif Pirincçi

 von Laila N . Riedmiller

Von der brüllenden, betrunkenen Meute vorm Geflüchtetenheim in Freital bis hin zum „kritischen“ Akademiker, der die Bundesrepublik für ein unzulässiges Konstrukt hält und öffentlich-rechtliche Medien für gleichgeschaltet – der Begriff der „Lügenpresse“ ist en vogue und wird längst nicht mehr nur für politische Gegner_innenschriften mit deutlicher Schlagseite verwendet.
Allerdings handelt es sich dabei keinesfalls um einen Neologismus, ganz im Gegenteil. Der Begriff hat eine lange Geschichte, die sich dadurch auszeichnet, dass er immer und immer wieder aus verschiedenen politischen Lagern heraus aufgewärmt wird.

Geschichte des Begriffs
Ab der Revolution von 1848, vereinzelt auch davor, wurde das Wort verwendet, um Presseerzeugnissen systematische Lügen zu unterstellen.
Nachdem mit der Märzrevolution die Pressezensur aufgehoben worden war und vermehrt nicht-konservative Meinungen in Druckform vertreten wurden, nutzten die alteingesessenen, konservativen und katholischen Gruppen den Begriff, um damit all jene Druckerzeugnisse zu beschimpfen, die kirchenkritische Texte veröffentlichten und sich die Freiheit nahmen, sich nicht nach staatlichen Vorgaben zu richten.
Im Ersten Weltkrieg verwendete das Deutsche Reich den Begriff, um die Berichterstattung über die deutschen Taten insbesondere gegenüber der belgischen Zivilbevölkerung als Lügen zu verunglimpfen und selbst weniger schlecht dazustehen, nach Kriegsende nutzten sozialistische und kommunistische Akteur_innen das Wort, um Texte politischer ‚Gegner‘ zu beschreiben.
Auch die NSDAP und Hitler beriefen sich immer wieder auf den Begriff, um von einer jüdisch oder marxistisch-bolschewistisch (oder beides gleichzeitig) gesteuerten Presse in Deutschland zu fantasieren.
Gleichzeitig nutzten deutsche Schreiber_innen im Exil das Wort, um damit die NS-Presse zu beschreiben.
In der DDR wurde der Begriff wiederum genutzt, um damit westlichen Medien die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Während der Studentenrevolte der 60er wurde der Begriff u.a. für den Springer-Verlag verwendet. Konservative Politiker Westdeutschlands verunglimpften damit die ARD, deren Journalist_innen alle als links bis linksradikal betrachtet wurden.

Besorgte Verschwörungstheoretiker_innen
Nun wird der Begriff lagerübergreifend verwendet. Insbesondere aus dem verschwörungstheoretischen Milieu wird verschiedensten Medien immer wieder gerne unterstellt, sie verschwiegen bewusst angebliche Tatsachen, um Verschwörungen zu decken, ‚die Medien‘ steckten alle unter einer Decke, nutzten eine geheime Agenda und unterstünden einer kleinen Gruppe politisch Mächtiger, die die entsprechenden Presseorgane nach ihrem Gutdünken steuerten.
Die Besorgten Bürger_innen treibt der Verdacht um, deutsche Medien verbreiteten gezielt die Unwahrheit, um sich auf Seiten der ‚Gutmenschen‘ zu schlagen und jede Form der ‚Kritik‘ ( also Volksverhetzung, Üble Nachrede etc) an Asylbewerber_innen und Geflüchteten zu unterbinden, ungeachtet der Tatsache, dass in verschiedenen Medien gerne sehr ausgiebig auch Polemik gegen Geflüchtete betrieben wird. Wichtig ist hierbei, dass den entsprechenden Medien – die von Menschen betrieben werden und Menschen begehen Fehler_ grundsätzlich eine intentionale Falschinformation unterstellt wird, die systematisch betrieben werde.
Generell, so wird gemutmaßt, gäbe es keine unabhängige Presse mehr in Deutschland, die noch an der Darlegung von Fakten interessiert sei. Was genau Fakten sind, darüber ist man sich schnell einig: all das, was von den ‚Mainstreammedien‘ ‚verschwiegen‘ wird – nicht etwa, weil es unwissenschaftlich, verleumderisch oder schlichtweg haarsträubender Unfug ist, sondern weil allein die Verbreitung dieser vermeintlichen Tatsachen in den Augen der „Lügenpresse!“- Schreier_innen geeignet zu sein scheint, die öffentliche Ordnung zu gefährden und ‚das Volk‘, das sich offenbar konsequent im Tiefschlaf befindet, endlich ‚aufzuwecken‘.
„Wacht auf!“ ertönt es, dabei sind es doch die Sprecher_innen selbst, denen zu wünschen wäre, dass sie den Ausbruch aus ihrem geschlossenen Weltbild schafften und in der Lage wären zu reflektieren, was sie da eigentlich kundtun – wäre es nur nicht dem geschlossenen Weltbild immanent, dass ein Ausbruch nur schwer möglich ist, solange man es denn nicht will.

Ganz so leicht, jene Menschen als Dummköpfe abzutun, ist es freilich nicht. Denn der Begriff der „Lügenpresse“ ist ein Symptom für den Vertrauensverlust, den etablierte Medien mehr und mehr erfahren. Verschwörungstheorien paaren sich in diesem Begriff mit absolut legitimer Kritik an medialer Berichterstattung und dieses Gemisch ist gefährlich. Auch jene, die fundierte Medienkritik üben (welche auch in der Wissenschaft eine lange Tradition hat) und beispielsweise einen Mangel an investigativem Journalismus, mangelnden Quellenschutz und Seriosität, fehlende Neutralität oder Effekthascherei beklagen, können, wenn sie sich denn bei halbseidenen Quellen auf sich alternativ und wissenschaftlich gebenden Blogs informieren und sie nicht gründlich durchleuchten, Gefahr laufen, in verschwörungstheoretische Kreise zu versinken und deren faktisch falsche Behauptungen zu übernehmen.
Denn auch Menschen, die ‚die Mainstreammedien‘ kritisieren, konsumieren Informationen. Es entwickelt sich mehr und mehr eine Infrastruktur alternativer Medien, die für sich beanspruchen, eine vermeintliche „Wahrheit“ zu kennen und diese –  im Gegensatz zu den etablierten Medien – nicht zu verschweigen. Insbesondere im Internet, in dem nur wenige Informationen Geld kosten, in dem wir nicht einsehen, für qualitativen Journalismus noch Geld auszugeben und für Artikel zu zahlen, greift der Großteil der Menschen auf kostenlose Quellen zurück und diese sind längst nicht immer seriös. Doch viele Menschen suchen auch genau diese tendenziöse Berichterstattung. Häufig sind es Menschen, die schon voreingenommen an weltpolitische Ereignisse herangehen und sich die Welt so zurechtbiegen wollen, dass sie in ihr Weltbild passt, die Presseberichterstattung pauschal als „Lügenpresse“ bezeichnen und dabei nicht zwischen angemessener Kritik und blinder Polemik differenzieren.

Pirincçi, das unschuldige Lügenpresseopfer
Ein solcher Fall ist der hier in Bonn lebende und schreibende Hobbyrassist Akif Pirincçi. Wenn er nicht gerade für Pegida eine Rede hält, einen neuen (Katzen-)Roman schreibt oder sich die Zeit in diversen Bonner Cafés vertreibt, hetzt er mit Vorliebe gegen  die queere Community, Feminist_innen, Frauen im Allgemeinen, sich nicht rechtspopulistisch äußernde Menschen und eben auch die „Lügenpresse“.
Auf dem Portal „Journalistenwatch“, das sich als „das Autorenmagazin der Gegenöffentlichkeit“ präsentiert, allerdings mehr als nur unseriös und rechtsoffen ist, findet sich ein Artikel des Autors und leidenschaftlichen Hetzers, in dem er sich mit der „Lügenpresse“ auseinandersetzt.
Darin entlarvt er einen vermeintlichen Lügenartikel des SPIEGEL, der unter Vortäuschung falscher Tatsachen die Gefahr des Islam (hier repräsentiert durch eine Reportage über eine Kopftuch tragende Deutschtürkin) herunterspiele. Dabei hetzt er immer wieder gegen das Kopftuch, indem er die Trägerin als „Kopftuchtante“ bezeichnet, gleichzeitig jedoch sieht er das Tragen des Kopftuchs an sich schon als Grund genug an, um in seinem rassistischen Weltbild davon auszugehen, eine Deutschtürkin könne gar nicht selbstbewusst auftreten. Dazu kritisiert er, dass ein genannter Fotowettbewerb, zu dem die Reportage eingereicht worden war, von keinem „bedeutenden Medium“ ausgeschrieben worden war, sondern von einer Zeitschrift, die sich schwerpunktmäßig mit dem Nahen und Mittleren Osten beschäftigt. Was für ihn ein „bedeutendes“ Medium ist, bleibt unkonkret. Vermutlich ist für ihn nur fähiger Fotograf, wer die Fotos bei pi-news oder compact, zwei verschwörungstheoretischen und rechtsoffenen Onlineblogs (im Falle der Compact auch als Printversion im Zeitschriftenladen erhältlich), einreicht.
Weiterhin unterstellt er den Verfasser_innen des Artikels – man lese und staune – Sexismus, weil sie eine Deutschtürkin als selbstständig darstellten, was so per se nicht möglich sei. Ein Schelm, wer dahinter politisches Kalkül und nicht etwa wirklichen Einsatz für feministische Anliegen erkennt.
Auch auf seiner Facebookseite und in seinem Blog hetzt Pirincçi zuverlässig und regelmäßig gegen die „Lügenpresse“. Dabei bewegt er sich selbst geschickt auf dem schmalen Grat zu rechtswidrigen Aussagen, polemisiert, verleumdet und spinnt sich seine völlig sinnfreie Welt zusammen, in der er seinen politischen Gegner_innen Drohungen an den Kopf wirft. Gleichzeitig stellt er sich selbst als Opfer pressegesteuerter Hetzkampagnen dar, das nun um sein Leben fürchten muss –  und versammelt dabei eine treue Followergemeinde um sich herum, die brav jedes seiner Worte aufnimmt und sich in seinem Kosmos des Selbstmitleids und des Verschwörungswahns mehr als nur wohlfühlt.
Doch gerade hier muss man aufpassen, ihm nicht in die Hände zu spielen. Kritik an seiner Person, seinem Handeln und seinen Aussagen ist mehr als notwendig. Allerdings kann es kein Weg sein, dabei seine Aussagen zu verdrehen oder falsch wiederzugeben, wie dies im vergangenen Jahr bei seiner PEGIDA-Rede der Fall war. Solche Geschehnisse führen dazu, dass er sich in seiner Rolle als Opfer der Systemmedien nur bestätigt sieht. Es ist gar nicht nötig, Dinge, die er sagt oder schreibt, aus dem Zusammenhang zu reißen oder verfremdet wiederzugeben – wer aufmerksam zuhört merkt sehr schnell, dass Pirincçi sich sehr gut selbst lächerlich machen und entlarven kann. Es reicht schon, immer und immer wieder darauf hinzuweisen, entsprechende Aussagen zu thematisieren und so sein Handeln zu demaskieren.

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