Donnerstag, April 25, 2024
Allgemein

Das neue Sexualstrafrecht

Fortschritt in seltsamer Gesellschaft

Eine Analyse von Jan Bachmann

Jeder sexuelle oder sexualisierte Übergriff kann sehr gravierende Auswirkungen auf die Person haben, die ihm zum Opfer fällt. Dies ist natürlich völlig unabhängig davon, ob der Übergriff strafbar ist oder nicht. Es ist eine Aufgabe der Gesellschaft, solche Übergriffe zu verhindern. Ein Mittel dabei ist das Strafrecht, das diese Aufgabe nicht komplett erfüllen kann und dies auch oft genug gar nicht erst versuchte.
Ein entscheidender Sinneswandel trat vor fast 5o Jahren ein, als man als Ziel des Sexualstrafrechtes nicht mehr den Schutz eines abstrakten Sittengesetzes, sondern den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung des einzelnen Menschen als seinen Zweck definierte (Siehe auch: fw No.6, S. 8f).
Dies bedeutete freilich nicht, dass auch die sexuelle Selbstbestimmung umfassend geschützt wurde. Durch die aktuellen Änderungen im Sexualstrafrecht ist man jedoch diesem Ziel ein Stück näher gekommen.

Nein heißt Nein
Die wohl meistbeachtete Neuerung, betrifft die sexuelle Nötigung und damit auch die Vergewaltigung: Anders als bisher, muss der Willen des Opfers nicht mehr gebrochen werden und es ist auch keine Gewalt oder Androhung von Gewalt mehr erforderlich, um diesen Tatbestand zu erfüllen. Künftig macht sich der sexuellen Nötigung unter anderem also strafbar, wer eine sexuelle Handlung gegen den Willen der anderen Person an dieser vornimmt bzw. an sich vornehmen lässt. Wer den Beischlaf oder eine ähnliche Handlung gegen den erkennbaren Willen der anderen Person vollzieht begeht eine Vergewaltigung. Für den Fall, dass ausgenutzt wird, dass sich die andere Person keinen Willen bilden konnte, weil sie dazu grundsätzlich oder temporär nicht in der Lage ist, oder, dass etwa ein Überraschungsmoment oder eine Zwangslage ausgenutzt werden, finden sich ebenfalls Regelungen, die eine Strafbarkeit begründen.
In einer teils hysterischen Diskussion wurde befürchtet, dass sich viele Männer – und es wurde eigentlich immer nur von Männern gesprochen – durch die neue Regelung strafbar machen würden, man wisse nicht mehr, was man nun dürfe und was nicht und überhaupt stehe man ja schon mit einem Bein im Gefängnis. Dies mag sicherlich auf viele Männer zutreffen, doch braucht sich künftig niemand zu sorgen, sich strafbar zu machen, wenn man einfach keine sexuellen Handlungen durchführt an einer Person, die das nicht will. Das ist eigentlich recht simpel.
Auch das angebliche Problem, es sei oft unmöglich, seine Unschuld zu beweisen, ist keine ernstzunehmenden Kritik:
Natürlich gilt auch künftig die Unschuldsvermutung. Und sicher wird sich am grundlegenden Problem der Beweisbarkeit einer Tat nichts ändern.

Sexuelle Belästigung
Neu eingeführt wurde auch der Tatbestand der sexuellen Belästigung, § 184i StGB: Eine sexuelle Belästigung begeht demnach derjenige, der in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt. Bis jetzt ist solches Verhalten nicht strafbar. Es fällt auf, dass der Begriff der sexuellen Belästigung im Strafrecht viel enger definiert wird als in  anderen Rechtsgebieten. So zählt beispielsweise das Arbeitsrecht auch entsprechende Bemerkungen zur sexuellen Belästigung, eine körperliche Berührung ist nicht erforderlich.  Entsprechend der bekannten – und natürlich nach wie vor gültigen – Definition wird der Begriff auch oft im gewöhnlichen Sprachgebrauch definiert. Es ist bezeichnend, dass der Gesetzgeber den gleichen Begriff wesentlich strikter definiert. Dadurch besteht auch die Gefahr, dass Handlungen, die man bis jetzt zu recht als sexuelle Belästigung bezeichnen hat, die aber nicht unter die strafrechtliche Definition fallen, etwa weil der körperliche Kontakt fehlt, künftig nicht mehr als sexuelle Belästigung und damit nicht mehr als problematisch wahrgenommen werden können. Es ist jedoch auch davon auszugehen, dass eine sexuelle Belästigung, die den Straftatbestand der sexuellen Belästigung nicht erfüllt, künftig auch noch als solche bezeichnet werden kann, ohne dass man sich dadurch strafbar macht.

Silvester, oder: dem Menschen Rechnung tragen
Neu ist auch der Straftatbestand der Straftaten, die aus Gruppen heraus begangen werden, § 184j StGB. In der Diskussion wurde immer wieder eingebracht, man wolle hier vor allem den sog. Antänzern begegnen. Strafbar macht sich, wer sich an „einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt.“
Eine Personengruppe besteht hierbei aus mindestens drei Personen. Auch besteht sicher in vielen Fällen bereits jetzt eine Strafbarkeit, etwa wegen Mittäterschaft, zum Beispiel als Beihilfe zur Tat des anderen.
Grundsätzlich kennt das Strafrecht Normen, die die Zugehörigkeit an eine Gruppe oder an eine gemeinsame kriminelle Aktivität besonders stark sanktionieren, etwa weil von einer (auch nur im Teil) kriminellen Gruppe eine besondere Gefahr ausgeht: Menschen enthemmen sich in Gruppen gegenseitig, handeln, wie sie als Einzelperson nie handeln würden, Gruppendynamiken bilden sich, was – neben der bloßen zahlenmäßigen Überlegenheit – fatale Folgen für das Opfer haben kann.
Ebenfalls wurde die Möglichkeit geschaffen, Asylbewerber*innen auszuweisen, wenn sie sich eines Sexualdeliktes strafbar machen. Auch bei dieser Regelung wird deutlich, dass es sich um eine Reaktion auf die Taten der Silvesternacht handelt. Der Sinn dieser Regelung dürfte jedoch eher in der Bedienung einer gesellschaftlichen Stimmung als in verantwortungsvoller Strafrechtspolitik liegen. Betrachten wir die mögliche Abschiebung als einen Teil der Sanktionierung, so ist ihre Funktion der Schutz der Menschen in Deutschland dadurch, dass man straffällig gewordenen Menschen in die Länder bringt, aus denen sie ursprünglich kamen. Der sehr vernünftige Gedanke, Menschen durch Sanktionen – und Sanktionen müssen und sollten ganz sicher nicht immer Gefängnisstrafen sein – zu bessern, bleibt dabei völlig auf der Strecke. Auch wird diese Maßnahme kaum abschreckend wirken, zeigen doch Studien, dass das Ausmaß einer Sanktionierung keinen Einfluss auf die Häufigkeit der Straftat hat, auch wenn gerne das Gegenteil behauptet wird. Zusätzlich liefert man damit potentielle Opfer in den Herkunftsländern dem Täter aus.
Gerne wird sich dann auch über die „schwere Vergangenheit“ mancher Täter lustig gemacht. Eine solche Vergangenheit macht Taten nachvollziehbar, entschuldigt sie – bei urteilsfähigen Menschen – natürlich nie. Hier gäbe es sicher bei vielen Tätern Anknüpfungspunkte, um Gutes zu bewirken. Es ist traurig, diese Menschen aufzugeben, um den Volkszorn zu besänftigen.

„Unsere Frauen schützen“
Von vielen Seiten hörte man das Schlagwort, es gelte „die“ oder gar „unsere“ Frauen zu schützen. Opfer von sexueller Gewalt – egal in welcher Form – werden aber nicht nur Frauen (was in der Regel auch nur deutsche Frauen meint). Wer denkt, es würde das Leid, das Frauen zugefügt wird, relativieren, wenn man auch über andere Opfer spricht, der hat das Problem nicht verstanden. Opfer sexueller Gewalt stoßen leider nicht selten auf kein Verständnis. Auch für viele Männer ist die Situation oft schwer, weil sexuelle Gewalt gegenüber Männern meist kaum thematisiert wird. Hier wäre sicher eine offenere Diskussion angebracht gewesen.
Dabei hätte man dann auch direkt anführen können, dass  alleine schon diese Aussage von einem gewissen Rollenverständnis zeugt.
Überhaupt ist fraglich, wie man die sexuelle Selbstbestimmung des einzelnen Menschen schützen kann. Sicher, durch eine Ahndung sexueller Übergriffe, doch kann dies alleine niemals zu einem zufriedenstellen Ergebnis führen. Wie viele Verheiratete, die finanziell abhängig sind, denen soziale Ächtung droht, wenn sie sich scheiden lassen würden, erdulden das, was mit ihnen gemacht wird und trauen sich gar nicht erst, „Nein“ zu sagen? Wie viele Menschen erdulden Kommentare, Gesten oder Annäherungen etwa von Vorgesetzten, von Lehrer*innen  oder Professor*innen, weil man ja weiter kommen will?
Neben strafrechtlichen Regelungen ist auch ein gesellschaftliche Entwicklung nötig. Ein Blick auf die Schätzungen der Dunkelziffer bei Sexualdelikten, also der Taten, die gar nicht erst angezeigt werden, verdeutlicht das umso mehr.
Die Diskussion um die Neuerungen im Sexualstrafrecht wäre sicher eine Möglichkeit gewesen, gesellschaftliche Verbesserungen zu bewirken. Sieht man sich jedoch mit einem Diskurs konfrontiert, dessen zentrale Inhalte die Sorgen waren, dass man sich als Mann strafbar machen würde, wenn man mal das Nein der Partnerin „überhört“ und dass die größte Gefahr für die sexuelle Selbstbestimmung „unserer Frauen“ Banden von Asylsuchenden seien, einem Diskurs in dem das eigene Verhalten nicht kritisch hinterfragt wurde und der sicherlich keine neue Offenheit erzeugt hat,  wird deutlich, dass mehr nötig ist als ein neues Sexualstrafrecht um jedem Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

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