Editorial

Liebe Leser:innen und Leser,

wir wünschen euch einen erholsamen Dezember und Zeit, etwas zur Ruhe zu kommen, ob ihr Weihnachten feiert oder nicht. Die ursprünglichen Werte des Festes, das dieser Ausgabe ihren Schwerpunkt gegeben hat, finden sich hoffentlich in jedem eurer Haushalte wieder und helfen euch in das herausfordernde Jahr 2021 hinein. Ihr findet in unserer Weihnachtsausgabe eine Mischung aus Reflektion der Bedeutung und Interpretation des Weihnachtsfestes und dem Schwelgen in den kraft- und freudespendenden Aspekten desselben. Könnt ihr „Last Christmas“ und Co. jetzt schon nicht mehr hören und würdet euch gerne auf einer einsamen Insel verschanzen, könnt ihr euch vielleicht in Jans Text über den ausgegrenzten Teil der Bevölkerung, der keine Weihnachtsstimmung aufbringen will, wiederfinden oder belustigt euch mit Ronny über die Entwicklung der Weihnachtsmärkte und wie viel Nächstenliebe und Solidarität man da noch so finden kann. Im Kontrast dazu gibt es allerdings auch etwas für die Weihnachtsliebenden von Helene. Ihr Text sprüht über vor Weihnachtsstimmung und betont, was schätzenswert an dem Brauch ist. Diesen Zweck erfüllen auch unsere gesammelten Weihnachtstraditionen der Redaktion, sowie vielleicht sogar die skurrilen Geschenkideen, für diejenigen, die noch keine Idee und Lust auf ein bisschen Verwirrung unterm Baum haben. Ihr findet außerdem sogar noch alte Familienrezepte in der Ausgabe. Ich hoffe also, für jede:n ist was dabei.

In diesem Sinne: Bleibt gesund, genießt die kommenden Wochen soweit es geht und wir sehen uns im nächsten Jahr wieder!

 

Melina Duncklenberg, Chefredakteurin

Inhalts-verzeichnis

Kultur

Ein Text über die most wonderful time of the year

Gesellschaft

Nicht alle Menschen feiern Weihnachten

Kultur

So begehen wir den 24.

Kultur

Verrückte Geschenke für ein verrücktes Jahr

Gesellschaft

Weihnachtsmärkte – oder soll man es lassen?

Anmerkungen: Wir gendern in dieser Zeitschrift konsequent mit dem Gender-Doppelpunkt. Damit inkludieren wir neben den binären Geschlechtsangaben der deutschen Sprache auch jegliche weitere Geschlechtsidentität. Zum Titelbild: Die Universität Bonn leuchtet in diesem Jahr erstmals vier ihrer Türme als „Adventskranz“ an. Foto: Ronny Bittner

In der Weihnachtsbäckerei... (Quelle: Roman Odintsov via Pexels)

Kultur

I'm beginning to feel a lot like Christmas

... eine kitschige Überschrift über einem kitschigen Text über eine kitschige Zeit

Ein Essay von Helene Fuchshuber

Ich liebe Weihnachten. Wir können uns über das ganze Konzept ausführlich streiten. Ich sehe die meisten der Streitpunkte. Aber ich muss gestehen, ich hinterfrage sehr, sehr viel und Weihnachten will ich nicht auf den Kopf stellen. Ich will etwas haben, auf das ich mich freuen kann, etwas, das mich durch den Winter bringt. Denn wenn ich schreibe, dass ich Weihnachten liebe, dann meine ich auch und vor allem die Vorweihnachtszeit. Ich finde es toll, dass man sich im Dezember statt auf ein Bier auf Glühwein triff. Gerade jetzt bei Treffen draußen ist das ein echter Zugewinn. Und auch gemeinschaftliches Plätzchen-Ausstechen während im Hintergrund Michael Bublé singt gehört einfach dazu. Darüber hinaus: Adventskalender. Vielleicht bin ich eigentlich zu alt dafür, aber ich freue mich jedes Jahr von neuem wahnsinnig darüber. Und ich habe Angst vor dem Moment, in dem meine Mutter beschließt, dass ich nun wirklich zu alt dafür bin. Viele von euch werden das kitschig, kindisch oder unnötig finden. Fair enough. Aber ich liebe Weihnachten.

Ich liebe es, wenn mir irgendwann im November auffällt, dass im Rewe Weihnachtsmusik dudelt. Ich liebe es, wenn sich plötzlich vor den Kassen Spekulatiusberge türmen. Wenn die Städte ihre Weihnachtsbeleuchtungen hervorkramen. Glühwein im Angebot ist. Und endlich, endlich das Plätzchenbacken beginnt.

Die meiste Zeit im Jahr versuche ich, mich großteilig vegan zu ernähren, Pizza ausgenommen. Und: Plätzchen. Getreu dem Spruch meiner Ur-Großmutter „Butter sparen grundverkehrt, Butter kräftigt, Butter nährt.“. Ich glaube, das war irgendwann mal ein Werbeslogan. Vielleicht ging es auch um Zucker. Das passt auch. Ich nutze, je nach Kontext, beide Varianten. Wie dem auch sei – mein Punkt ist: Ich liebe Weihnachten, ich liebe Plätzchen und ich backe in dieser Jahreszeit definitiv nicht vegan, sondern nach dem Motto (aufgepasst, nächste großmütterliche Weisheit) „Viel hilft viel“ mit Mengen an Butter. Und Schokolade, und Zucker, Zimt, Mandeln…

Plätzchen

Weil ich es noch nicht häufig genug geschrieben habe: Ich liebe Plätzchen!

Das liegt auf der einen Seite, und das liegt auf der Hand, daran, dass Plätzchen einfach enorm lecker sind. Weihnachtsgebäck generell. Spekulatius, Lebkuchen, Printen. Ausstechplätzchen, Vanillekipferl, Zimtsterne. Schokoladenbrot. Nusshäuferl. Heidesand. Bethmännchen. Springerle. Kathrinchen. Je länger ich über Weihnachtsgebäck spreche, desto irritierter schauen meistens die Menschen um mich herum. Ab Zimtsterne sind die meisten raus. Manchmal treffe ich auf Leute aus Süddeutschland, die kennen dann immer ein paar mehr. Plätzchen-backen hat in meiner Familie einfach einen großen Stellenwert. Und das ist der zweite Grund, weshalb ich Plätzchen liebe. Während andere Familien Zuckerguss auf Butterkekse streichen und damit das Thema „Backen“ abgehakt haben, stapeln sich bei uns im Dezember Kisten über Kisten auf der Terrasse. Und weil mein Vater aus Bayern und meine Mutter aus Sachsen-Anhalt kommt, ist es meistens eine wilde Mischung aus traditionellen und weniger traditionellen Rezepten (ein Highlight ist jedes Jahr die Brigitte-Weihnachtsbeilage). Eine meiner Tanten macht die besten Bethmännchen und Vanillekipferl der Welt. Mein Großvater hat nach dem Tod seiner Frau das Backen übernommen und backt von Heidesand über Elisenlebkuchen alles, meistens kommen noch Trüffeln und Spanische Aprikosen dazu. Meine Oma drehte ihren Teig durch den Fleischwolf. Und von meinen Patentanten bekomm ich eigentlich jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit ein Plätzchenpaket.

Ein weiteres Plus für Plätzchen: sie sind mit extrem wenig Konfliktpotential belegt.

Ich weiß nicht, wie es Weihnachten bei euch zugeht, aber gerade die Weihnachtsfeiertage, die mit Familientreffen und Festgelagen verbunden sind, bergen bei uns immer ziemlich viel Streitpotential. Die Tage sind mit tausend Erwartungen aufgeladen, die unmöglich alle erfüllt werden können. Dann trifft man noch auf Menschen, die nicht zur Kernfamilie gehören, im Zweifel brandet bei uns ein Ost/West Konflikt auf und los geht’s: Das beginnt bei der Frage, wo Weihnachten gefeiert wird, was es Weihnachten zu essen gibt, geht weiter zu politischen Debatten beim Putenessen am ersten Weihnachtsfeiertag, wobei vorher noch abgehandelt wird, dass mein Bruder und ich ja kein Fleisch essen. Einig sind wir alle uns nur bei einem: Plätzchen. Maximaler Streitfaktor ist hier, welche Sorten gebacken werden sollen. Aber auch da sind wir uns meistens recht schnell einig: Möglichst viele, am besten alle.

Falls ihr also noch nicht in Weihnachtsstimmung seid, vielleicht sogar Weihnachtsfrust bis -hass schiebt, oder falls ihr zwar in Weihnachtsstimmung aber nicht so die Backprofis seid, oder falls ihr schlicht ein geiles Plätzchenrezept braucht:

Heidesand

-250g Butter

-250g Zucker

-1 Päckchen Vanillezucker

-375g Mehl

-1 gestrichener Teelöffel Backpulver

Zuerst die Butter schmelzen und LEICHT anbräunen. Dann Zucker und Vanillezucker unterrühren und die Mischung im Kalten erstarren lassen. Wenn sie fest ist, Mehl und Backpulver zufügen, kneten bis ein zugegebenermaßen etwas bröseliger Teigball entstanden ist. Die Konsistenz ist (siehe Name) etwas sandig. Entweder ihr stellt den Teig jetzt nochmal kurz kühl, dann lässt er sich besser rollen, oder, wenn ihr ungeduldig seid, auch ok: rollt mehrere Rollen aus dem Teig – Durchmesser je nach Plätzchenwunschgröße. Die kommen dann in Frischhaltefolie gehüllt über Nacht in den Kühlschrank (an dieser Stelle sorry an alle Ungeduldigen).

Am nächsten Tag Ofen auf 165° vorheizen, die Teigrollen aus dem Kühlschrank befreien und in 1/2cm (ungefähr…) dicke Scheiben schneiden. Backen. Bis die Heidesand HELLgelb/gold sind, eher fast noch weiß, das dauert je nach Ofen +/- 15 Minuten. Schmecken lassen.

Ich weiß übrigens nicht, woher dieses Rezept ursprünglich stammt- Wir haben zu Hause eine karteikartengroße Kopie einer Kopie…versehen mit handschriftlichen Notizen meiner Großmutter. Drauf steht: Doppeltes Rezept machen! Denn ja, die sind lecker! Aber aufgepasst, die doppelte Menge sind wirklich VIELE! Wenn ihr also nicht gerade eine fünfköpfige WG ernähren wollt, reicht vermutlich das einfache Rezept…

Ich glaube übrigens, dass man die Butter problemlos durch pflanzliche Margarine ersetzen kann, allerdings wird das mit dem Anbräunen dann nichts.

Für den Fall, dass Hochprozentiges eher nach eurem Geschmack ist, meine Entdeckung dieses Winters so far:

Glühgin

-Gin

-Apfelsaft

-frischer Ingwer

-Zimt (am besten Stangen oder Rinde, aber gemahlener geht auch)

-Sternanis

-Kardamom

-…weihnachtliche Gewürze nach Lust und Laune

Apfelsaft mit ein bisschen frischem Ingwer und Gewürzen erhitzen. Etwas Gin zufügen (aber nicht kochen!). Fertig.

Ich weiß nicht, warum, aber es schmeckt extremst lecker. Und ich muss gestehen, ich habe in den letzten zwei Jahren etwas zu viel vom klassischen Christkindl-Glühwein getrunken, weshalb das eine top Alternative ist. Enjoy!

Karrikatur: Jan Bachmann

Gesellschaft

Alle Jahre wieder ... nicht

Über Menschen, die kein Weihnachtsfest feiern

Ein Essay von Jan Bachmann

15.12.2020 - Ausgabe 68

Weihnachten kann vieles sein, eines ist es aber sicher nicht: dezent. Selbst oder gerade in diesem Jahr wirft das Fest wieder unübersehbar seinen christbaumförmigen Schatten auf den grauen Alltag voraus. Es dürfte wohl kaum jemanden geben, der:dem das nicht irgendwann zu viel wird, wohl niemand kennt kein Weihnachtslied, keinen Weihnachtsmarktstand, keine weihnachtliche Produktwerbung, die man nicht irgendwie übertrieben findet. Wie leicht vergisst man dabei, dass eine gar nicht mal so kleine Zahl von Menschen hierzulande überhaupt kein Weihnachten feiert: Gut ein Fünftel der Einwohner:innen der Bundesrepublik feiern kein Weihnachtsfest.

Nur gut die Hälfte der Bevölkerung ist christlich

Hierbei kommen einer:einem wohl zunächst jene Menschen in den Sinn, die keiner christlichen Konfession angehören. Nur etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland sind Mitglied einer der beiden großen Kirchen. Knapp 6 % der Bevölkerung sind Muslim:innen, alle anderen Religionsgemeinschaften machen zusammen nur etwa 1 % der Bevölkerung aus – etwa 40 % sind konfessionslos.

 

Sicher feiern aber auch viele Menschen, die kein:e Christ:innen sind, trotzdem Weihnachten – zumindest ein wenig. Beispielsweise dann, wenn sie mit anderen Menschen zusammentreffen, die das Weihnachtsfest feiern. Schließlich scheint es ja auch fast unmöglich, sich der weihnachtlichen Stimmung, die uns im Alltag, aber auch im privaten Umfeld umgibt, völlig zu entziehen. Manche Menschen sind sogar noch pragmatischer und widmen den bunt geschmückten deutschen Weihnachtsbaum zum Chanukkabaum um.

Weihnachten ist nicht nur ein religiöses Fest

Zwar ist Weihnachten ohne Zweifel ein christliches Fest, doch kann es auch eine rein gesellschaftliche oder soziale Funktion haben. Bei einer Weihnachtsfeier unter Kolleg:innen etwa oder einer Runde Glühwein unter Kommiliton:innen geht es weniger um die christliche Tradition des Weihnachtsfestes als um das gesellige Beisammensein. Wie andere Feste – etwa Karneval – auch ist das Weihnachtsfest hier nur ein Vehikel zum Vertiefen sozialer Kontakte. Da kann freilich mitmachen wer will. Dass überhaupt so ein Vehikel notwendig ist, ist sicher bedauerlich. Regelmäßige Entgleisungen auf Weihnachtsfeiern, Aufdringlichkeiten und völlige Distanzlosigkeit, wie sie leider immer wieder vorkommen, zeigen übrigens, wie sehr die Menschen von einem unverkrampften Umgang miteinander entfernt sind.

Jedoch sollte man auch, gerade, wenn eine Weihnachtsfeier in einer Gruppe als soziales Ereignis geplant ist, nicht vergessen, dass es eben doch durchaus Menschen gibt, die sich – ob nun aus religiösen oder anderen Gründen – wohler auf einer Feier ohne christlichen Bezug fühlen würden. Wichtig ist jedenfalls, das man ein wenig auf die Mitmenschen achtet und versucht, die Befindlichkeiten der Leute möglichst wenig zu verletzen. Denen, denen die weihnachtlichen Traditionen wichtig sind, geht ja nichts verloren, wenn eine der diversen Weihnachtsfeiern, die üblicherweise im Dezember stattfinden, vielleicht nicht unbedingt so heißt. Empörte, besorgte Bürger:innen, die alljährlich zur Weihnachts- (und zu jeder anderen) Zeit den Untergang des Abendlandes unmittelbar bevorstehen sehen, weil irgendein Weihnachtsmarkt jetzt Wintermarkt heißt, haben jedenfalls den Sinn von Weihnachten (und einiges andere) nicht wirklich verstanden.

Kein Weihnachtsverbot

Umgekehrt sollte man auch niemandem verbieten, das Weihnachtsfest zu feiern. Das Verbot: „… dann darfst du aber auch kein Weihnachten mehr feiern!“, was Menschen, die aus der Kirche austreten, gelegentlich zu hören bekommen, ist natürlich Unsinn. Konfessionslosen, die Weihnachten feiern, drohen weder Inquisition noch jüngstes Gericht. Der Verfasser selbst hat in diesem Zusammenhang sehr gute Erfahrungen damit gemacht, gänzlich auf das Weihnachtsfest zu verzichten und lediglich gegen Ende eines jeden Jahres ein wertneutrales Geschenkefest zu feiern, bei dem es ausschließlich um den Austausch der Präsente geht.

… weil es niemanden gibt

Der Grund dafür, dass Menschen in Deutschland kein Weihnachtsfest feiern, liegt in der Mehrheit der Fälle allerdings gar nicht im Glauben bzw. Nichtglauben.

Bei den meisten dieser Menschen gibt es schlicht niemanden, mit der:dem sie feiern könnten oder wollen.

Einsamkeit ist ein weit verbreitetes Phänomen in unserer Gesellschaft, das sich in diesem Jahr sicher noch einmal massiv verschärft hat.

Auch werden Familien heute – und Weihnachten ist ein Fest, das hauptsächlich in der Familie begangen wird – später gegründet als früher. Ferner ist der Zusammenhalt innerhalb einer Familie heutzutage oft nicht mehr so stark, wie er früher war oder gewesen sein soll. Gerade dies ist jedoch freilich keine rein negative Entwicklung. Zusammenhalt ist schließlich kein Wert an sich, sondern immer nur so zu bewerten, wie die Menschen, mit denen man zusammenhält und das Verhältnis zu ihnen. Denkt man zum Beispiel an die berühmten „Familiendramen“, die zum Weihnachtsfest gehören wie Tannenbaum und Plätzchenbacken, sieht man wohl ein, dass es Fälle gibt, in denen es durchaus besser gewesen wäre, nicht auf Gedeih und Verderb mit anderen Menschen zusammenzusein, nur, weil man verwandt ist.

Ein Trost für die Leute, die an Weihnachten alleine sind, ist das aber nicht.

Das Weihnachtsfest ist natürlich auch nicht die Ursache für das Problem der Einsamkeit: Wer an Weihnachten einsam ist, der ist dies sicher an vielen anderen Tagen des Jahres auch. Allerdings kommen gerade an Weihnachten Faktoren hinzu, die die Problematik verstärken. Bekannte, mit denen man sich vielleicht sonst zuweilen trifft, sind bei ihren Familien, viele Menschen müssen an Weihnachten nicht arbeiten, man sitzt alleine daheim, viele Einrichtungen, Läden und Gaststätten sind geschlossen.

Das Weihnachtsidyll im Kontrast zur Einsamkeit

Außerdem kann der Kontrast zum geselligen Familienidyll in weihnachtlicher Atmosphäre, mit dem man von allen Seiten berieselt wird, das Gefühl der eigenen Einsamkeit noch verstärken. Zumindest hierzu kann jede:r ein wenig helfen und sein eigenes Verhalten einmal prüfen. Das heißt natürlich nicht, dass man Betroffenen keine Weihnachtsgrüße senden kann.

Zu kritisieren ist in diesem Zusammenhang aber auch das Verhalten einiger Teile der Politik im Umgang mit Weihnachten in der aktuellen Situation. Unbestritten ist das Fest – selbst in einem laizistischen Staat nicht unwichtig und es kann vielen Menschen Kraft und Zuversicht geben. Wenn dabei jedoch der Tatsache, dass eben nicht alle Menschen – egal aus welchen Gründen – Weihnachten nicht feiern, mit keinem Wort Rechnung getragen wird, dann stößt man diese Menschen vor den Kopf. Dem gesellschaftlichen Zusammenhalt, der zur Zeit so oft gefordert wird, dürfte das kaum zuträglich sein. Hier wäre ein wenig Umsicht gefragt.

Die grundsätzlichen Probleme von Einsamkeit und sozialer Isolation aber sind noch schwerer zu lösen, eine Musterlösung hierfür gibt es nicht. Viele dieser Probleme haben sich in diesem Jahr massiv verstärkt, worauf dankenswerterweise immer wieder hingewiesen wird: Gerade jetzt soll man auch an die Situation der von Einsamkeit Betroffenen denken. Dabei bleibt es aber meist dann auch schon, denn schließlich hat man ja auch genug eigene Sorgen. Frohe Weihnachten.

Kultur

Eine kleine Sammlung von Bräuchen und Traditionen, die die Redaktion alle Jahre wieder begeht

15.12.2020 - Ausgabe 68

Kultur

Skurrile Geschenkideen

Außergewöhnlicher schenken mit der FW-Redaktion

15.12.2020 - Ausgabe 68

Ich präsentiere: die schönste und gleichzeitig sinnloseste Zitronenpresse der Welt! Die „Juicy Salif“ von Alessi sieht aus wie aus einem anderen Universum, gelandet auf Planet Erde mit der Mission, Zitronen zu pressen – entworfen im Italienurlaub auf der Serviette einer Pizzeria. Aber der Designer Philippe Starck hat eine Sache nicht bedacht: Er hat dem frisch gepresstem Saft vergessen zu sagen, dass er bitte nicht an den Beinen herunterlaufen soll. Mit Glück landet auch ein kleiner Rest im Glas, dass man unter der formschönen Spitze hinstellen muss. Die Zitronenpresse kostet 75 Euro, für Design-Freund:innen unverzichtbar! Möbelt jede Studierenden-Küche zu einem Ort der Minerva auf.
Verschenken Sie eine Tapete! Aber nicht irgendeine Tapete natürlich. Viel mehr ein Kunstwerk im Tarnkleid einer Tapete. Scherz beiseite: Wer angesichts Corona seinen:ihren musikbegeisterten Liebsten eine Freude machen will, sieht sich einer unübersehbar großen und vielfältigen Auswahl von Merch-Artikeln gegenüber, darunter auch Skurrilitäten wie Vibratoren provokanter Rockbands oder (mein persönlicher Favorit!) dem Käsehobel, den eine holländische Band vor einigen Jahren als Merch feilbot. Tatsächlich ist Wanddekoration zum Aufhängen in Form von Postern, Drucken, Fotos und Autogrammkarten da schon eher unter den klassischen Merchandise-Artikel, die gerade Musiker:innen und Bands von sich verbreiten. Aus der langen Tradition der Wandbehänge ist der Musiker Nick Cave (für die Erstis und musikalisch Halb- bis Ungebildeten: das ist der mit dem Titelsoundtrack zu der Serie Peaky Blinders) nun hinaus- und in die Welt der grundlegenden Raumgestaltung eingetreten: Statt Poster kann man eine pinkfarbene Tapete mit halbseidenen Zeichnungen des Künstlers erwerben, die angeblich selbstklebend sein soll – man muss also nicht einmal handwerklich begabte Familienmitglieder zum Anbringen bemühen, was bei dem Motiv vielleicht ohnehin wenig ratsam wäre. Das Produkt ist auch noch massig vorhanden: Es wurde Cave zufolge noch kein Exemplar verkauft, was den Künstler allerdings nicht weniger stolz zu machen scheint: „Ich bin wahnsinnig stolz, ein Produkt gestaltet zu haben, das wirklich niemand haben will!“ Spätestens diese selbstironische Beschreibung dürfte nun allerdings die üblichen Verdächtigen für ungewollte Geschenke – ältere Verwandte im Allgemeinen, Pat:innen im Speziellen – instinktiv zum Kauf verleiten – wie sonst sollte man eine Mischung aus Verwirrung, verlegenem Lächeln und Streit um die Objektifizierung queerer Frauen durch nur ein Geschenk provozieren können?
Alle Jahre wieder wird gewichtelt. Und alle Jahre wieder ziehe ich eine Person, bei der ich komplett überfragt bin, was ihr wirklich gefallen könnte. Tja, und alle Jahre wieder schenke ich letztlich: Socken. Wird eigentlich nie langweilig und bleibt auch im Nachhinein sehr interessant, weil anhand der Socken erkennbar ist, in was für einer Phase ich mich beim Schenken befand. Da gibt es die Einhorn-Socken aus der Einhorn-Phase, Glitzersocken, Socken mit Avocados drauf, selbstgestrickte Wollsocken aus einem Jahr mit plötzlicher, punktueller Handarbeits-Motivation, wirklich hässliche Weihnachtssocken aus der Zeit, in der ich langsam ironisch wurde… Dieses Jahr wird dem Ganzen noch ein Krönchen aufgesetzt. Ich bin mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem ich Wichteln nur noch mit Sarkasmus begegne und mich außerdem selbstironisch genug fühle, etwas zu wagen. Socken mit meinem Gesicht drauf  Es gibt da verschiedene Seiten, über die man Socken mit Fotos bedrucken kann, z.B. soufeel oder (ganz besonders individuell): fotosocken.com. Einfach Bild auswählen, hochladen und wenig später hält man dann ganz tolle, persönliche Geschenke in den Händen. Also, jetzt zuschlagen, momentan gibt’s nämlich Rabatt!
Das nächste Jahr ist ungewiss, die AHA-Regeln werden absolut nicht im Jahre 2020 bleiben und auch wenn manche Schlagzeilen den Anschein erwecken, ist der Impfstoff keine Lösung, die uns innerhalb von Wochen von dieser Pandemie befreien wird. Wer käme also in Zeiten wie diesen auf die Idee, Konzertkarten zu verschenken? Ich. Und ich könnte jetzt einen kompletten Artikel über die Notwendigkeit unserer Unterstützung der Künstler:innen-Szene schreiben und wie wichtig es ist, zusammenzuhalten. Aber ich will hier erstmal die egoistischen Beweggründe hinter der skurrilen Idee beleuchten, Tickets für ein Zusammentreffen zu verschenken, bei dem musikalisch begabte Menschen jede Menge Aerosole in einem Raum verteilen, in dem sich minimal weniger musikalisch begabt Menschen befinden. Diese Konzerttickets verkörpern für mich die Hoffnung, Mitte nächsten Jahres unter den neuen Umständen wieder alte Begebenheiten annähernd erleben zu können. Und wenn Konzerte wieder eingeschränkt möglich sein werden, dann werden es andere Dinge auch. Und diesen Hoffnungsschimmer kommt als Geschenk einfach auf die Karten obendrauf.

Wer soll das alles verschenken? Und vor allem: WARUM?

Kultur

Süßer die Bröckchen nie schwimmen

Zwischen Fressen und Besinnlichkeit: Sind Weihnachtsmärkte von allen guten Geistern verlassen?

Eine Glosse von Ronny Bittner

15.12.2020 - Ausgabe 68

Die Vorweihnachtszeit ist da: die Tage sind kurz, die Wunschlisten lang und für jeden im Discounter verkauften „Edel-Marzipan-Stollen“ stürzt sich ein kleines Weihnachtsengelchen von der Dresdener Frauenkirche. In ganz Deutschland breitet sich besinnliche Weihnachtsstimmung aus. In ganz Deutschland? Nein, in vielen Städten entstehen für mehrere Tage und Wochen kleine Holzdörfchen, die der besinnlichen Weihnachtszeit beharrlich Widerstand leisten: die Weihnachtsmärkte. Refugien für Menschen, denen Kirmes und Oktoberfest zu lange her ist und die mit geselligem Umtrunk bei Minusgraden nicht bis zum Karneval warten wollen.

Wie alles begann

Ausgehend von einer Tradition, die sich als Handwerkermärkte im 14. Jhd. in Deutschland verbreitete, wurden im Mittelalter auf den meist eintägigen Märkten den Bürgern und Bürgerinnen zu Beginn der kalten Jahreszeit die Möglichkeit gegeben, sich mit Fleisch und winterlichem Bedarf zu versorgen. Spielzeugmacher, Korbflechter, Zuckerbäcker und Verkaufsstände für geröstete Mandeln, Kastanien und Nüsse gab es dort ebenfalls schon, um Weihnachtsgeschenke für Kinder anzubieten. Von reinen Verkaufs- und „Fleischmärkten“ (Bautzen ab 1384) ist man heute weit entfernt, denn in den 1960er-Jahren entstand jene Chimäre, die uns heute als Weihnachtsmarkt bekannt ist und den Fokus verschob.

Wie kommt das Heiße in die Köpfe?

Um in dunkler Jahreszeit auch dunkle Erinnerungen zu überwinden, wurde nicht nur im Heimatfilm, sondern auch auf Weihnachtsmärkten auf Inszenierung, Kitsch und vermeintliche Traditionen gesetzt. Dabei herausgekommen ist eine Abkehr von weihnachtlicher Besinnlichkeit – wenn sie denn je vorhanden war – hin zum meist heiß und fettigen Konsums von schwerverdaulichen Winterklassikern wie z.B. Champignonpfanne mit Knoblauchsoße. Ich bin mir sicher: Jesus hätte auch Crêpes gegessen. Mit Zucker & Zimt!

Natürlich findet man sie noch, die kleinen und großen Handwerkstreibenden, in ihren uniformen Holzhütten mit Heizstrahlern, wo sie eine immer länger werdende Saison ihre Waren feilbieten. Brettchen mit Namen? Bunte Steine? Handtaschen? Oder doch noch schnell ein Blechschild? Wer soll das alles verschenken? Und vor allem: WARUM?

Doch keine Sorge, von diesen unweihnachtlichen Umtrieben bleibt im Gesamteindruck oft wenig, denn neben den leuchtenden, lärmenden und vor allem duftenden Anbieter:innen von Essen und Getränken fallen diese immer weniger ins Gewicht. Die von Prof. Dr. Hirschfelder (Uni Regensburg – Bonn hätte ihn haben können!) in seinen Forschungsarbeiten formulierte „Eventisierung von Weihnachtsmärkten“ lässt sich auch an der Finanzierungsstruktur der Märkte erkennen: der Spiegel (Quelle) hat vor zwei Jahren recherchiert, dass allgemein gilt: „Händler subventionieren Handwerker. Schausteller mit stark nachgefragten Buden – etwa der Glühweinstand – zahlen etwa das Zehnfache der Standmiete von Kunsthandwerkern.“ Gewinn an fünf Tassen Glühwein: rund 20€. Einkaufspreis dafür: 1,70€. Singende Elche wachsen schließlich nicht auf Bäumen.

Der Deutsche Schaustellerbund ging 2018 deutschlandweit von etwa 3000 kommunalen und privaten Märkten aus, die sich jedoch längst nicht mehr nur noch Weihnachtsmarkt nennen und so die Tradition bereits aus dem Namen tilgen. Während der Markt kapitalistischer Logik folgend für weitere Käufergruppen offen sein möchte, gibt es jedoch auch die Gegenbewegung, die „Historische Weihnachtsmärkte“, „Traditionsmärkte“ oder hybriden wie z.B. den „Mittelalterlichen Weihnachtsmarkt“ in Siegburg hervorbringt. Dort gelten engere Vorgaben, was wie angeboten werden kann und es gibt ein thematisch passendes, familienfreundliches Rahmenprogramm. Eventisierung, here we go!

An den Rand gedrängt

Und wie stehen die Kirchen zu alledem? Dort klagen Vertreter:innen bereits seit Langem über die immer früher startenden Märkte und die Kommerzialisierung des christlichen Fests. In Bonn hat sich eine ökumenische Initiative sogar das Ziel gesteckt: „Wir bringen Weihnachten, die christliche Botschaft, auf den Markt.“ (Quelle) Nun, das geht leider nicht so ganz, denn: weil der eigentliche Weihnachtsmarkt meist über Jahre hinweg ausgebucht sei und kommerzielle Anbieter den Vorrang bekämen, werden auf dem Gelände des Bonner Münsters eigene Holzbuden aufgestellt, die eine „Kirchenmeile“ bilden. „Ein Abstand zu den offiziellen Weihnachtsmarktbuden ist kaum auszumachen.“ heißt es dazu. Dort kann man etwas Ruhe finden, mit ehrenamtlich Tätigen ins Gespräch kommen und auf die Geburt Jesu warten. In anderen Städten gibt es diese Möglichkeit nicht immer, es müssen sogar Menschen am Betreten der Kirchen mit Glühwein oder Bratwurst gehindert werden. (Quelle)

Erst kommt das Fressen, dann kommt der Likör

Um alles irgendwie auszuhalten und nicht aus der Gruppendynamik zu fallen, ist das Zuführen erhitzter alkoholischer Getränke für viele verirrte Seelen unumgänglich. Wo Champignonpfanne und Feuerzangenbowle ein freudiges Kennenlernen veranstalten, verabreden sie sich auch gern zu einem Ausflug an die frische Luft. So haben schließlich auch all jene etwas vom ganz speziellen Geruch der Weihnachtsmärkte, denen die Atmosphäre dort zu aufgesetzt, gestresst und zu laut ist. Ob Eierlikör nicht besser zu einem anderen christlichen Fest passen würde? Derlei Spitzfindigkeiten helfen doch niemandem!

Quo vadis Weihnachtsmarkt?

Interessensvertretungen vertreten Interessen und so sagte Frank Hakelberg, Hauptgeschäftsführer beim Deutschen Schaustellerbund (DSB), der dpa, dass durch die Corona-Pandemie nun auch der Weihnachtsmarkt in Gefahr sei. Er entblödet sich dabei nicht, die Maßnahmen gar als „Berufsausübungsverbot“ gleichzusetzen. (Quelle) Wäre ja auch noch schöner, wenn plötzlich Solidarität und Vernunft mit Weihnachten zu tun hätten. Doch stirbt durch die Corona-Krise der Weihnachtsmarkt? Und wäre das wirklich schade? Eines ist sicher: Glühwein und Fastfood haben sich vielerorts mit To-Go-Angeboten organisiert, müssen sich die Leute eben mal vor der eigenen Haustür übergeben. In den nächsten Jahren werden die Tauben aber auch wieder im Stadtzentrum fündig werden. Die größere Frage ist, ob man dann die anderen Handwerksbuden noch als Feigenblatt verwenden kann.  

Alkoholgeschwängerte Stimmung unter Kunsttannen ist euch zu blöd? Hier ein abschließender Tipp für wirklich nahegehende Emotionen: Wünscht den Versandangestellten, die eure Geschenke bringen, ein frohes Weihnachtsfest und fragt sie nach ihrem nun bestimmt üppigen Weihnachtsbonus.

Über den Autor

Ronny Bittner verliert sich ungern im Labyrinth der verlorenen Weihnachtsseelen. Auf Theseus wartete damals immerhin ein fröhlich Keulen schwingender Minotaurus – singende Elche sind einfach schlechter Stil.