Freitag, April 26, 2024
Lokales Politik

Die Kinder, denkt bitte jemand an die armen Kinder

Die Sache mit dem Kindeswohl: Im Vorfeld von Plebisziten verkommt die politische Debatte und spielt mit dem Faktor Angst.

 

Der zweite Bürgerentscheid zum Bäderstreit in Bonn hat ein Ergebnis. Bereits im Vorfeld der Abstimmung war diese geprägt von einem dem Intellekt fast unwürdigen Debatte. Plötzlich streuten sich immer wieder Argumente zu Schulschwimmen und Kindeswohl in ein städtebauliches Thema ein.

Auf den ersten Blick wirken Bürgerentscheide demokratisch höchst attraktiv. Direktere Demokratie, unmittelbar von des Volkes Wille und ehrlich. Sie nehmen auch der Politikverdrossensten jede argumentative Grundlage, einem Thema keine Aufmerksamkeit schenken zu wollen.
Als Alternative zur repräsentativen parlamentarischen Entscheidungsfindung werden Plebiszite oft von denen propagiert die sich politisch benachteiligt und von „denen da Oben“ eh nicht wahrgenommen fühlen. Hier hat man wirklich nochmal auch als kleiner Leut was zu sagen und zu entscheiden.
Tatsächlich wird bei Plebisziten aktiv vor allem auf Sentimentalität gesetzt. Sie sind politisch nicht weniger archaisch wie auch im Stande, das Niveau einer Debatte auf ein primitives Bewusstsein zurückstutzen zu können. Die Verhältnismäßigkeit von Faktoren wird in diesem Prozess schnell verzerrt dargestellt. Nebenschauplätze bekommen Bühnenvorrang vor dem objektiv Wesentlichen und zwar immer dann, wenn sie sich besser eignen, um das Gemüt in Wallung zu versetzen wie die abstrakten und trockenen Aspekte eines Sachverhaltes. Beim Bürgerentscheid sinkt das Niveau einer Debatte nicht unbedingt, weil die Entscheidungstreffenden keine Expert_innen sind, sondern alleine schon darum, weil die schlichte Psychologie um eine große Menge von Menschen zur Abstimmung eines bestimmten Ergebnis zu bringen sich viel einfacheren und stumpferen Argumenten bedienen muss als es in einer parlamentarischen Situation der Fall wäre.

Das Spiel mit der Angst
Das mit großem Abstand beste Sentiment, um den Menschen zum schnellen politischen Aktivismus zu bewegen ist seine Angst. Sein Sinn für Gerechtigkeit ist ein anderes dieser Gefühle, aber der Gerechtigkeitssinn kann, da er womöglich einen gewissen Altruismus voraussetzt, nicht bei jedem Menschen in zumindest konstanter Weise als vorausgesetzt betrachtet werden. Und da die wirklich Mutigen seltener sind als die dreisten Unverfrorenen ist anzunehmen, dass die Masse der Menschen auch am besten zu bewegen ist, indem man ihre Angst stimuliert.

Auch in diesem Bürgerentscheid zum Bäderstreit spielte Angst eine subtile Rolle. Was wird aus dem Schulschwimmen? In der Potenzierung der Relevanz einer Entscheidung im Bäderstreit für das Schulschwimmen kommt eine Implikation zum Tragen, die unmittelbar die Angst um die Sicherheit der eigenen Kinder betrifft. „Wird mein Kind vielleicht später ertrinken wenn ein Schwimmbad nicht gebaut beziehungsweise saniert wird?“ soll hier unmissverständlich mitschwingen.
Dieser Zusammenhang in der Debatte ist argumentativ so stark konstruiert, dass man ihn nicht geradeaus ausspricht, aber er eignet sich einfach exzellent zur Stimmungsmache.
Die Grenze zur offenen Aussprache der Drohkulisse überschritt die Bonner SPD indem sie mit einer später abgemilderten Formulierung gegen das Zentralbad „Wir sterben für das Zentralbad“ aufwartete.
De facto ist das alles völlig irreal. Schwimmen ist keine Kompetenz, die eine besondere, über das Engagement der Erziehungsberechtigten hinausgehende didaktische Zuwendung der Schule erforderlich macht. Was die Schule an Schwimmkompetenz fördert, zielt meist auf ein Leistungsniveau im sportlichen Plusbereich, nicht auf Überlebenssicherung ab. Zudem sind die Situationen der Lebensgefährdung durch Gewässer im Alltag, (zumindest für europäische Kinder) vergleichsweise zu anderen Szenarien mit weniger didaktischem Fokus selten. Vorausgesetzt natürlich, man vollzieht keine alkoholindizierten Selbstbehauptungsaktionen im Rheingewässer, was pro Jahr tatsächlich einige Todesopfer fordert. Mehr Schulschwimmen würde diese Zahl aber garantiert nicht eindämmen. Würde man reale Gefahren des Stadtlebens, wie den Straßenverkehr, in der Schulbildung gleichermaßen repräsentieren, würde statt Schulschwimmen wohl mehr Erste-Hilfe und Verkehrsverhaltenskompetenz (auch mit Hinblick auf Mediennutzung) Platz finden.
Bei der Debatte bekommt man aber das Gefühl, als seien Kinder grundsätzlich täglich vom Ertrinken bedroht und das Bonner Rheinufer könnte nächste Woche aussehen wie türkische Strandregionen, was schlicht sehr zynisch und lächerlich ist.
Mit der Stimulation der Angst im politischen Diskurs bedienen sich Parteien im Bürgerentscheid desselben Instrumentariums wie es Demagogie und der Terrorismus tut. Es ist ein Paradestück politischer Unkultur, dermaßen Stimmung zu machen und den Leuten zu suggerieren, die vorgeschlagene Entscheidung sei alternativlos, um die Sicherheit der eigenen Kinder in Zukunft zu gewährleisten. Es beleidigt den Intellekt und lässt eine Debatte in ihrem Niveau schlicht verkommen.
Dieser Gefahr, die der Plebiszit in seiner Mechanik für die politische Kultur mitbringt, konnten wir uns hier wieder eindrucksvoll gewahr werden.

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