Freitag, April 26, 2024
Satire

Durchstarten mit Start-Ups und irgendwelchen Ideen

Wie man sich seinen Arbeitsplatz einfach selbst schafft

Noch vor wenigen Jahrzehnten war es üblich, dass Menschen ihr Leben lang im selben Unternehmen arbeiteten, heute ist die Arbeitswelt dank fortschreitender Rationalisierung, häufigen Insolvenzen und nicht zuletzt dank eines legereren Umgang mit dem Kündigungsschutz viel dynamischer. Das Wirtschaftsleben ist im ständigen Wandel –  mit gewissen Grenzen, versteht sich. Gerade junge Menschen wollen zunehmend selbst etwas im Wirtschaftsleben verändern – in gewissen Grenzen, versteht sich. Ziel vieler Veränderungen junger Menschen im Wirtschaftsleben ist es, Räume zu schaffen, in denen junge Menschen die Möglichkeit bekommen, etwas im Wirtschaftsleben zu verändern. In gewissen Grenzen, versteht sich.

 

Die Arbeitswelt 4.0

Die Arbeit der Zukunft soll sich von der Arbeit heute im Wesentlichen dadurch unterscheiden, dass man künftig hinter den Namen eine hippe Zahl setzt. Bald werden sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer – hier wird die geläufige Definition übernommen –  in der Arbeitswelt 4.0 bewegen. Diese ist übrigens die traurige Fortsetzung der Arbeitswelten 1.0-3.9 mit weniger Arbeitnehmerrechten, dafür aber mit digitalem Krimskrams. Entscheidende Nachteile der alten Lohnarbeitswelten bestehen jedoch weiter, wie folgender Vergleich mit der klassischen Hausarbeitswelt zeigt: „Man kommt gerade von der Uni heim und denkt an das schmutzige Geschirr, das man gestern hat stehen lassen, und das man gleich noch spülen sollte. In der Küche merkt man dann, dass sich bereits ein*e liebe*r Mitbewohner*in erbarmt und diese Aufgabe erledigt hat. In der Hausarbeitswelt kann man sich entspannt ausruhen, wenn alle nötigen Arbeiten erledigt sind, in der Lohnarbeitswelt jedoch ist dieser Zustand untragbar und führt zu sinnlosen – in diesem Kontext aber sinnvollen – Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, etwa dem Einfangen erntevernichtender Maikäfer oder Großprojekten wie dem Ausbau Berlins als Hauptstadt, der Zerstörung Berlins im Endkampf und dem erneuten Ausbau Berlins als Hauptstadt.

All das ist jedoch nicht unbedingt für jede*n das Richtige. Da man in den meisten Unternehmen als Berufseinsteiger heute ohnehin kaum mehr etwas verdient, wird die Option einer Unternehmensgründung für viele immer attraktiver. Schließlich haben viele Unternehmen einmal als kleiner Betrieb angefangen – sofern sie nicht im 3. Reich von Zwangsarbeiter*innen aufgebaut wurden. Eine Unternehmensgründung ist eine reizvolle Möglichkeit, sich in der Arbeitswelt 4.0 zu behaupten. Vorteilhaft an dieser Idee ist die sehr weitgehende Ausschöpfung der Arbeitskraft: Wer selbst die eigene Belegschaft ist, wird sich wohl kaum über Mehrarbeit beschweren oder krankheitsbedingt ausfallen. Für eine Unternehmensgründung braucht man eigentlich nur zwei Dinge: Eine Idee und einen Plan. Ein Businessplan ist ist das A und O für eine erfolgreiche Unternehmensgründung. Nur wer plant (Wie hoch ist die Nachfrage? Wie hoch sind meine Kosten?) wird Erfolg haben. Vorsicht: Pläne sollten sich stets nur auf das eigene Unternehmen beziehen. Gehen Planungen darüber hinaus, führt das ohne Umwege zur kommunistischen Planwirtschaft. Pfui!

Dank großzügiger Förderung für neue Unternehmen hängt zumindest der mittelfristige Erfolg nicht mehr so sehr von einer Geschäftsidee ab. Ganz verzichten kann man darauf jedoch nicht. Hier ein paar Beispiele:

 

 

Selber haben? Einfach mieten!

Früher war es üblich, sich Dinge fest anzuschaffen, heute gibt es viele Menschen, die das nicht mehr für nötig halten. Was man nur mal ab und zu braucht, muss man sich nicht dauerhaft zulegen: Ob ein Auto in der Großstadt oder das Parteiprogramm der SPD. In Zukunft werden wir immer mehr Dinge einfach mieten, wenn wir sie brauchen, weil das ja schon bei Wohnraum so gut klappt. Mit dem festen Ansporn, diese Idee auf alle Bereiche unseres Lebens zu übertragen, kamen einige Starter*innen auf eine Idee mit Zukunft:

Viele junge Menschen kommen zusammen um gemeinsam Ideen und Projekte für junge Unternehmen zu entwickeln. Daraus ist schon vieles gewachsen: Zahlreiche Jungunternehmer*innen haben leerstehende Ladenlokale gefunden, in denen sie gerne vor einer puristischen Kulisse aus Euro-Paletten und schicken Computern sieben bis acht Stunden bei Facebook rumhängen und von Passantinnen beobachtet werden wollen. Oft fehlt es nur an Kleinigkeiten, etwa potentiellen Kund*innen oder einer Geschäftsidee. Doch wieso braucht man denn gleich eine eigene Geschäftsidee für sein Unternehmen, wenn man doch ohnehin die meiste Zeit im Ladenlokal dafür nutzt, nette Fotos für Instagram zu machen, bis man nach wenigen Monaten die Miete nicht mehr zahlen kann und die Firma zu Twitter umzieht? Wieso nicht einfach eine unnütze Geschäftsidee mit anderen Menschen teilen? Warum nicht zusammen mit vielen anderen jungen Unternehmen gemeinsam an einem Misserfolg teilhaben? In den nächsten Jahren wird es immer beliebter werden, anstelle der mühsamen Erarbeitung eines Unternehmenskonzeptes einfach ein bereits mehrfach erprobt erfolgloses Konzept zu mieten. Erste Tests sind vielversprechend: Da die Kund*innen in der Regel ohnehin Verwandte sind, die damals in der Grundschulzeit auch schon aus Mitleid zu diesen furchtbaren Schulaufführungen gekommen sind, konnten bereits erfolgreich in einigen Unternehmen Einnahmen in Größenordnungen mehrerer Zwei-Euro-Stücke und einiger Kinderriegel generiert werden.

Wer nach einer Geschäftsidee sucht, sollte auf jeden Fall bei der Ideenvermietung vorbeischauen.

 

Innovation mal zwei bringt Erfolg hoch zwei

Einen anderen Weg gehen ein paar junge Visionär*innen, deren Projekt es ist, frühere Erfolgskonzepte einfach zu verdoppeln: Im Dschungel der Vergleichsportale im Internet findet man sich kaum noch zurecht, Abhilfe schafft hier künftig Vergleichsportal-Vergleich-24.de. Wer sich hingegen von seiner Ankaufsseite für Gold, Gebrauchtwagen oder Nieren trennen möchte, dem wird bei wir-kaufen-deine-wir-kaufen-seite.com garantiert ein gutes Angebot gemacht.

Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang ein Forschungsbüro, dank dessen Entwicklungen bald die Schlagzeilen um die Enthüllung neuer Abschalteinrichtungen in deutschen Diesel-Fahrzeugen ein Ende haben werden: Die neue Abschaltsoftwareabschaltsoftware erkennt eigenständig, ob im Auto gerade nach Abschaltsoftware gesucht wird und schaltet diese sofort ab. Dieser Idee steht wohl eine ähnlich rosige Zukunft wie der deutschen Automobilindustrie bevor!

 

Neben diesen erfolgreichen erfolglosen Unternehmen gibt es aber auch einige Branchen, in denen immer mehr erfolglose Unternehmen keinen Erfolg haben: Ruhiger geworden ist es etwa im Medienbereich. Seit jede*r Internetnutzer*in in den sozialen Netzwerken aus einem verunglückten Omelett zum Frühstück ein Medienereignis machen kann, was dann auch noch – und dies mag dann doch erstaunen – auf das ernstliche Interesse anderer Menschen stößt, macht ja quasi jede*r „irgendwas mit Medien“. Es sei hier dringend davon abgeraten , seinen Lebensunterhalt im Medienbereich verdienen zu wollen: Aktuell können in der gesamten Branche bundesweit nur gut zwei Duzend Menschen, die mit Medien arbeiten, davon leben, Hellseher eingeschlossen.

Noch eine Warnung: Abgrenzen muss man eine richtige Unternehmensgründung von der sogenannten Scheinselbstständigkeit. Dabei handelt es sich nur um ein normales Arbeitsverhältnis, das zur optimalen Nutzung der Kapazitäten der Arbeitnehmer*innen bei minimalen Kosten, die Selbstständigkeit lediglich vorspielt. Hier verdient man also auch kaum, muss sich dafür aber noch mehr als sonst üblich ausbeuten lassen.

 

Fazit: Wer sich lästiges Bewerbungsschreiben nach dem Studium sparen will, für den ist die Gründung eines eigenen Unternehmens goldrichtig. Hier kann man sein*e eigene*r Chef*in sein, auch wenn diese Freiheit nicht ganz so groß ist, wie man zunächst denkt, wenn man bedenkt, dass unser Wirtschaftssystem Menschen zwingt als Leiter*in von „Frisurmanufakturen“ oder als „Butterstullendesigner*in“ zu arbeiten. Darüber hinaus bietet eine Unternehmensgründung auch weitere interessante Perspektiven wie Subventionsbetrug, steuerlich günstige Dienstwagen und lustige Phantasietitel: „Guten Morgen, Herr Generaldirektor.“ Insolvenzverschleppungen sind eine gute Möglichkeit, den Kontakt zu seinen Geschäftspartner*innen länger zu erhalten und auszubauen.

Also los! Hieß es früher noch, der Weg sei das Ziel , können wir heute überzeugt sagen: Schon der Start reicht völlig. Mit etwas Glück seid ihr schon morgen das, was die ehemaligen Betreiber*innen von Videotheken oder Internetcafés heute sind.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Back To Top