Freitag, April 26, 2024
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#campusrassimus: Rassimus im Vorlesungssaal?

von Julia Pelger

Unbenannt
Ein Tweet mit dem Hashtag. Aufruf 06.01.16

Spätestens seit dem Zentralabitur in Englisch der 2010er hat auch der letzte mitbekommen, das Globalisierung nicht zu leugnen ist; Wirtschaft, Politik, Arbeitsmarkt und schlussendlich auch die akademische Welt relativ unübersichtlich in einem großen multikulturellen Netz vereint sind. Für Studierende aller Fachrichtungen ist eine internationale Ausrichtung ihres Studienverlaufes ein Plus auf dem Lebenslauf, ERASMUS und andere Austauschprogramme sind beliebt wie nie und Englisch spricht man längst nicht nur am Englischen Institut. Die Kommilitonen und Kommiliton_innen stammen, wenn nicht aus Bonn, nicht nur aus Köln, Hennef und bayerischen Kuhdörfern, sondern auch aus Paris, Valencia, Osaka und Gaziantep. Die Universität, der kosmopolitische Raum. Rassismus möchte man hier nicht gerade vermuten.
Trotzdem gab es Ende 2014 diese Studie. Das ausgehende Jahr war geprägt vom Aufstand belehrungsferner Schichten längst nicht nur in Ostdeutschland: Dügida, Kögida und tatsächlich auch Bogida hießen die Ausläufer der ostdeutschen Vorläufer Pegida und Legida. Wer die Anhänger_innen dieser Bewegungen trotz ihrer Medienfeindlichkeit im Fernsehen oder Radio sprechen hören durfte, würde nicht vermuten, dass es sich hier um Studierende handeln würde. Dann kam die bereits erwähnte Studie eines Politikwissenschaftlers der TU Dresden heraus, die in der Öffentlichkeit vor allem als Tatsache, dass auch (universitär) gebildete Menschen rechtspopulistischen Strömungen angehören könnten, wahrgenommen wurde. Ohne diese Studie vertiefend zu berücksichtigen (die übrigens nicht auf den vermeintlichen ‚Kern‘ der die Öffentlichkeit erreichte reduziert werden kann), stellt sich tatsächlich die Frage, ob Bildung und Rassismus sich ausschließen. Die Initiative #campusrassismus beweist, dass es oft genug leider nicht der Fall ist.
Nach Vorläufern an verschiedenen führenden Universitäten in der anglophonen Welt wie etwa „I, too, am Harvard“ oder auch den Protesten gegen die Omnipräsenz des rassistischen Geschäftsmanns und Kolonialherrn Cecil Rhodes in Oxford und Kapstadt entschieden sich die Hochschulgruppen People of Color der Universitäten Mainz und Frankfurt am Main im Dezember 2015, eine Aktion auf Twitter zu rassistischen Äußerungen an deutschen Universitäten zu starten: Ähnlich wie der feministisch motivierte #aufschrei, unter welchem Frauen sexistische Erfahrungen verbreiten können, sollte der #campusrassismus Erfahrungen von Studierenden mit rassistischen Äußerungen und Handlungen an Universitäten eine Stimme zu geben. „Als Studierende of Color möchten wir rassistische Strukturen an der Universität, weiße Curricula, strukturelle Unterrepräsentation von Personen of Color, rassistische Aussagen und Dynamiken in Seminaren, medial sichtbar machen.“, so die Website des AStA Frankfurt über die Aktion der Hochschulgruppen. Tatsächlich finden sich zahlreiche Einzelstimmen, die durchaus erstaunliches, vermeidbares und inakzeptables Verhalten an Universitäten zeigen. „Man ist es einfach nicht gewohnt, Frauen mit Kopftuch zu sehen, die Expertinnen in irgendwas sind, das nicht Islam ist“, „„Wir haben ja auch einen echten Indianer hier“, „Ich erkenne schon am Nachnamen, ob jemand durchfällt oder nicht.“: Solche und ähnliche Bemerkungen dürfen sich Studierende von Biologie über Jura bis hin zu Medizin an einigen deutschen Universitäten anhören.
Wichtig zu erwähnen ist hierbei, dass wohl nicht hinter jeden vorurteilsbelasteten Äußerung, von denen einige mit etwas Achtsamkeit hätten vermieden werden können, eine bösartige oder beleidigende Absicht steckt. Viel dramatischer ist die Tatsache, dass es augenscheinlich auch zahlreiche Sozial-und Islamwissenschaftler_innen gibt, deren Äußerungen tiefsitzende Vorurteile verraten. Dies greift in Teilen so weit, dass Publikationen in diesen Bereichen, laut der Recherchetätigkeit einer Studierenden, nicht nur auf bestimmte Themenbereiche beschränkt sind, sondern vor allem von weißen Männern mit christlichem Hintergrund geschrieben werden. Gerade im Bereich der Islamwissenschaften hat dies nicht mehr viel mit Vorurteilen zu tun: Generell ist die akademische Welt, trotz der vermeintlich globalisierten Welt, nach wie vor von weißen Männern dominiert. Dass das nicht unbedingt an den Leistungen nicht-männlicher und nicht-weißer Studierender liegt, lässt sich anhand von Angaben des Statistischen Bundesamtes vermuten: Rund 30% der Migranten und Migrant_innen die nach Deutschland kommen, haben Abitur oder Fachhochschulreife (im Vergleich: 28,5% der deutschen Bevölkerung), und dass Mädchen an Schule und Universität besser abschneiden, war schon 2007 ein Titelthema in deutschen Printmedien.
Dass Rassismus und Nationalismus zusammenhängen erscheint klar, obwohl es sich nicht unbedingt um zwei miteinander kompatible Konstrukte handelt: Neben der Tatsache, dass mit vermeintlichen Begründungen versehener Rassismus in großen Teilen der Gesellschaft nicht mehr auf Basis pseudo-biologischer Fakten (wobei deren Existenz in einigen Kreisen immer noch behauptet wird), sondern  auf kulturellerer Ebene ausgetragen wird, geht rassistisches Denken von nicht zwingend nationalitätsabhängigen Minderwertigkeiten anhand – so biologisch ist man dann doch – vom eigenen abweichenden Phänotypen aus. Dabei ist nicht wichtig, ob jene_r aus Wanne-Eickel, Kabul oder Murcia kommt oder wie viele und welche Staatsangehörigkeit/en ein Individuum hat: Während Nationalisten gehobenen Wert v.a. auf die ideelle, weniger auf die tatsächliche Zugehörigkeit eines Staates achten und ihre Art von Diskriminierung sich gegen vermeintliche Feinde der Nation und der Kultur richtet, zeichnet sich rassistische Diskriminierung meist durch althergebrachte Vorurteile durch das automatische Einordnen eines Phänotypen in einen gewissen Kulturraum aus. Nicht desto weniger handelt es sich in beiden, wie bereits erwähnt oftmals miteinander einhergehenden ideologischen Prägungen jedoch um zwei Spielarten der Diskriminierung mit demselben modus operandi, welchen sie mit dem Antisemitismus (s. dazu entsprechenden Artikel auf S.XY) teilen, so kann fest-
gehalten werden.
Wer allerdings tatsächlich einmal #campusrassismus in die Suchmaschine eintippt, wird weniger kurze Tweets von Diskriminierung an deutschen Universitäten entdecken, sondern sich zunächste einmal durch schier endlose Hasskommentare und gruselige Verspottungen der Aktion lesen: Es scheint ganz im Gegenteil, dass die Aktion der People of Color das komplette Gegenteil ihres eigentlichen Ziels ausgelöst hätte. Von zynischen Bemerkungen über die Notwendigkeit der Aktion und über die Weinerlichkeit der Initiatoren und Initiator_innen selbst bis hin zu hartem Rassismus à la „Ist auch nur einer von den Negern, die unter #Campusrassismus posten ein Naturwissenschaftler?“ gibt es eine sehr große Bandbreite an Gehässigkeiten und Gegenaktionen. Auch Pervertierungen, die nach Diskriminierung der „weißen Rasse“ fragen sind unter den Reaktionen. Tatsächlich verweist das Verhalten der twitter-Gemeinde sehr stark auf die Ursprungsproblematik, und, man möchte es angesichts des augenscheinlich akademischen Ursprungs der Debatte kaum wahrhaben, tatsächlich auf einen recht harten Rassismus, den man so maximal in erzkonzervativen, rechtsgerichteten Verbindungen und Burschenschaften, nicht aber in der breiten virtuellen Öffentlichkeit erwartet hätte.
Die Notwendigkeit des #campusrassismus wird also nicht nur anhand der Posts, sondern sehr stark auch an den Gegenreaktionen deutlich.

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